Der Medicus von Heidelberg
Lebenden liegt.«
Muhme Lenchen wollte etwas entgegnen, doch ich kam ihr zuvor. »Stärkt Euch erst einmal«, sagte ich, denn mir war ein kühner Gedanke gekommen. »Dann sehen wir weiter.«
Sie aßen von dem Eierkuchen, den wir der Legefreudigkeit einiger herrenloser Nachbarhühner verdankten, und als sie fertig waren, fragte Eustach: »Was ist nun mit der Frauenleiche, Herr?«
»Seid so gut und schafft sie in die Vorratsgrube hinunter.«
Eustach machte ein Gesicht, als wäre ihm gerade der Leibhaftige erschienen. »Wie meint Ihr, Herr?«
Muhme Lenchen sagte entrüstet: »Herr, in der Vorratsgrube befinden sich Speisen, die kühl gelagert werden müssen, damit sie sich später noch zum Verzehr eignen, Ihr wollt die Tote doch wohl nicht …?«
»Nein, nein«, beruhigte ich sie. »Ich habe etwas anderes mit ihr vor, das nicht jeder wissen muss. Kann ich mich auf Eure Verschwiegenheit verlassen?«
Alle bejahten meine Frage, und Meister Karl nickte.
»Gut, ich möchte die Tote sezieren, um der Wissenschaft einen Dienst zu erweisen. Es gibt vieles am menschlichen Leib, besonders am weiblichen, von dem die Ärzte zu wenig oder gar nichts wissen.«
Als ich das gesagt hatte, blickte ich in erschrockene und entgeisterte Gesichter. Nur ein Gesicht zeigte keine Regung. Es gehörte Meister Karl.
»Meister Karl, würdet Ihr so freundlich sein und mir dabei als Prosektor die Hand führen?«
Der Stumme zögerte.
»Ich weiß, die Vorratsgrube ist nicht ideal, um Leichen zu zergliedern, man kann nur gebückt in ihr stehen, und das Licht ist nicht gut, aber sie ist ein verschwiegener Ort.«
Ich hätte hinzufügen können, dass die Kirche Sektionen an menschlichen Leichen ablehnte und dies mit dem Glauben an die Auferstehung des Fleisches begründete, doch ich tat es nicht.
Die Möglichkeit, das nie Gesehene zu sehen und daraus zu lernen, war einfach zu verlockend.
Meister Karl nickte ernst.
»Heißt das, Ihr seid einverstanden?« Fast wäre ich aufgesprungen und hätte den grobschlächtigen Mann umarmt. »Ich danke Euch, ich danke Euch sehr!«
Eine gute Stunde danach war alles vorbereitet. Durch die hölzerne Klappe, die in das Gelass hinunterführte, hatten wir mit Mühe eine sechs Fuß lange Tischplatte mit den dazugehörigen Böcken gezwängt, außerdem einen Beistelltisch für das Besteck des Doktor Silvanus, ferner Behälter mit Wasser, Schüsseln, Lappen und mehr. Im Gegenzug waren alle Speisen nach oben gebracht und zusätzlich in der kleineren Vorratskammer verstaut worden. Nicht weniger als acht Laternen, aus dem ganzen Haus zusammengesucht, erhellten den neugeschaffenen Raum.
Eva, die schöne Leiche, lag vor Meister Karl und mir auf dem behelfsmäßigen Seziertisch. Der bullige Mann wollte mit dem Skalpell den üblichen T-Schnitt ansetzen, um den Brustraum zu öffnen, doch ich unterbrach ihn und deutete auf Evas Schamhügel. »Ich möchte den Unterleib sezieren«, sagte ich. »Wenn Ihr einverstanden seid, entfernen wir zunächst das Schamhaar. Anschließend mögt Ihr mir zeigen, wie der erste Schnitt in diesem Bereich anzusetzen ist.«
Meister Karl gehorchte. Er rasierte den Schambereich mit dem Schermesser, und ich staunte einmal mehr, wie viel Geschicklichkeit in seinen groben Fingern lag. Er setzte die erste Inzision und ließ alsbald weitere folgen. Ähnlich wie beim T-Schnitt arbeitete er sich vor, durchtrennte das Bauchfell und gelangte in die Bauchhöhle. Dann kamen Spreizer und Haken zur Anwendung, bis uns der Korpus der Gebärmutter entgegenragte. Er hatte die Form einer auf dem Kopf stehenden Birne. Einer großen Birne, wie ich dachte. In den wenigen Zeichnungen, die ich kannte, war die Gebärmutter stets kleiner abgebildet gewesen.
Winzige Kanäle, blassen Adern gleich, entsprangen links und rechts der Gebärmutter, schlängelten sich seitwärts und endeten in trichterförmigen Auswüchsen, deren Vorhandensein und Aufgabe mir ein Rätsel waren.
Ich hielt es nicht länger aus. »Verzeiht«, sagte ich zu Meister Karl und nahm ihm das Skalpell aus der Hand, »ich möchte die Gebärmutter freilegen. Könnt Ihr mir zeigen, wo die Schnitte anzusetzen sind?«
Meister Karl schüttelte den Kopf.
»Dann muss ich es selbst herausfinden.« Ich legte das Skalpell zur Seite und griff mit spitzen Fingern in den Leib. Die Gebärmutter fühlte sich prall an, sie war nach vorn geneigt und lag über der Harnblase. Ich hob sie mit Zeige- und Mittelfinger an und beschloss, der erste Schnitt zum
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