Der Medicus von Heidelberg
Mannes mit jenem der Frau verschmilzt und nach sechsundzwanzig Tagen einem Klumpen gleicht.«
»Sofern die Theorie stimmt«, hatte de Berka den Faden aufgenommen, »muss dein Embryo nicht nur sechsundzwanzig Tage alt gewesen sein, sondern mindestens sieben oder acht Wochen, denn du sagtest, es wären schon Ärmchen und Beinchen sichtbar gewesen.«
»Das stimmt. Ich hätte sofort nach der Sektion ein Protokoll und eine Zeichnung anfertigen sollen, aber ich habe einfach nicht daran gedacht.«
»Das kannst du immer noch. Insgesamt jedenfalls hat sich das Ganze gelohnt.« De Berka hatte sich ächzend von seinem Bett erhoben und uns aus einem Krug eingeschenkt. »Für Wein ist es noch ein bisschen früh, aber der Anlass ist es wert. Komm, trinken wir darauf.«
Nachdem wir die Becher geleert hatten, sagte ich: »Hoffentlich bist du mir nicht böse, weil ich dich bei der Sektion nicht hinzugezogen habe. Du warst noch schwach auf den Beinen und hattest dich gerade zur Ruhe gelegt. Da wollte ich dich nicht stören.«
»Ich bin dir nicht böse.« De Berka hatte flüchtig gelächelt. »Viel mehr beschäftigt mich die Vertraulichkeit, die unter allen Umständen in dieser Sache gewahrt bleiben muss. Die Leichen, die wir Mediziner im Rahmen der Forschung öffnen dürfen, sind rar genug, immerhin tun wir es offiziell in einem Raum der Hierana. Ich weiß allerdings nicht, was die Öffentlichkeit sagen würde, wenn sie erführe, was in der Vorratsgrube meines Hauses geschah.«
»Sei unbesorgt, die Öffentlichkeit wird es nicht erfahren«, hatte ich geantwortet. »Bevor ich die Sektion vornahm, haben mir alle Freunde ihre Verschwiegenheit zugesichert.«
»Dann ist es gut. Aber bei der nächsten Zergliederung will ich unbedingt dabei sein, hörst du?«
»Jawohl, Herr Professor.«
Es sollte noch eine gute Woche vergehen, bis wieder eine Sterbende in unser Nothospital gelangte. In der Vorratsgrube war es diesmal noch enger, doch weder de Berka noch Meister Karl noch mich störte das. Wir sezierten mit leuchtenden Augen und klopfenden Herzen und eröffneten uns die Wunder des weiblichen Leibes. Der männliche Leib war in der Wissenschaft schon häufig zergliedert worden, der weibliche sehr viel seltener. So kam es, dass wir immer wieder auf Neues, Unerwartetes und Unterschiedliches stießen, doch es gab auch vieles, was gleich war, wie die Anzahl der Rippen. Das war umso überraschender, als in der Bibel steht, Gott habe Eva aus einer Rippe Adams erschaffen. Wenn das stimmte, musste das männliche Skelett eine Rippe weniger aufweisen, was nicht der Fall war. Hatte Gott sich geirrt? Wir diskutierten ernsthaft über diese Frage, kamen aber zu keinem Ergebnis.
Bei allen unseren Bemühungen war uns Meister Karl mit seiner Gelassenheit und Geschicklichkeit eine große Hilfe, so dass de Berka und ich beschlossen, ihn bei weiteren Sektionen einzusetzen. Ein Vertrauen, dem er sich in allen Belangen als würdig erwies.
Allerdings führte das dazu, dass Eustach eines Tages zu mir kam, die Pestkappe nach oben schob, sich durch die weißen Haarbüschel fuhr und sagte: »Herr, nehmt mir’s nicht übel, aber ohne Meister Karl geht’s nicht.«
»Was meinst du damit?«, fragte ich.
»Ich meine, ich schaff’s nicht allein. Die Toten sind schwer, und Meister Karl ist dauernd in der Grube bei Euch. Wenn er nicht hilft, krieg ich die Toten nicht hoch.«
»Dann musst du dir einen anderen Hilfsmann suchen«, sagte de Berka, der dazugekommen war. »Auf Meister Karl können wir bei den Sektionen nicht verzichten.«
»Ist gut, Herr Professor.« Eustach trollte sich, erleichtert, dass sein Problem gelöst worden war.
Bei der nächsten Fuhre, es war kurz vor dem Abendessen, und alle saßen schon am Küchentisch, kam er in Begleitung eines baumlangen Burschen, der nur ein Auge hatte. Eustach nahm die Pestkappe ab und sagte: »Das ist mein neuer Hilfsmann, Herr Professor.«
De Berka, vom nahrhaften Geruch der Suppe abgelenkt, fragte: »Hilfsmann, was für ein Hilfsmann?«
»Den für die Toten, Herr Professor. Ich meine, weil Meister Karl ja jetzt immer in der Grube mithelfen muss.«
»Ach ja, äh, gut.«
Um das Gespräch in andere Bahnen zu lenken, fragte ich den Einäugigen: »Wo hast du das Auge verloren?«
»Krieg.«
»Welcher Krieg?«
»Ruprecht gegen Albrecht.«
»Aha. Gibt es mittlerweile einen Schiedsspruch vom König? Man hört so einiges.«
»Weiß nicht.«
Offenbar war der Einäugige kein Mann ganzer Sätze. Doch das musste
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