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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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vor.
    »Willkommen in meinem Haus«, sagte der Vater und machte eine einladende Bewegung, die uns zum Setzen aufforderte. »Ich freue mich immer, wenn Martin Gäste mitbringt. So erfahre ich ein wenig mehr von dem, was an der Universität geschieht.«
    In seinen Worten lag ein leiser Vorwurf, und ich begann zu ahnen, warum Luther sich meine Begleitung gewünscht hatte. »Studiert Ihr auch Jura?«, fragte mich der Vater, während wir mit der Suppe begannen.
    »Leider nein, ich habe mich der Medizin verschrieben. Allerdings hat mich die Pest zuletzt vom Studium abgehalten.«
    »Jaja, die Pest«, sagte der Vater und bekreuzigte sich rasch. Alle am Tisch folgten seinem Beispiel, und die Mutter sagte: »Die Pest ist Teufelswerk. Wer wüsste das besser als wir. Auch unsere Familie hat sie schon heimgesucht. Trotzdem muss man versuchen, sich ihrer zu erwehren, indem man mit dem Henkel eines kupfernen Kessels, welcher aus einem ausgestorbenen Hause stammt, einen Kreis um seinen Besitz zieht. Als ich von ihrem Ausbruch hörte, habe ich das als Erstes getan.«
    »Vielleicht hätten mehr Menschen in Erfurt deinem Beispiel folgen sollen«, sagte der Vater und nahm einen Schluck Einpöckisches Bier, denn wie alle Bergleute schätzte er einen guten Trunk. »Aber das geht uns nichts an. Martin jedenfalls hat die Plage wohlbehalten in Gotha überlebt, nicht wahr, Martin?«
    »Ja, Vater.« Luthers Antwort war zu entnehmen, dass er nicht viel Lust verspürte, über Gotha zu reden.
    »Hast du das teure Werk, du weißt sicher, welches ich meine, schon durchgearbeitet?«
    »Noch nicht ganz, Vater.«
    »Dann halte dich dran, damit recht bald ein guter Jurist aus dir wird.«
    »Ja, Vater.« Luther stocherte in der Pastete herum und sagte: »Lukas hat berichtet, in Erfurt seien nicht weniger als dreitausenddreihundert Menschen an der Pest gestorben. Viele von ihnen hat er bis zu ihrem Tode gepflegt.«
    »Ist das wahr?« Die Mutter machte große Augen. Im Gegensatz zu ihrem Mann und den Kindern, die ihre Beine unter dem Tisch an Schnapps Fell rieben, schien sie an dem, was mir widerfahren war, interessiert. »Welche Mittel habt Ihr gegen die Pest eingesetzt, Herr Studiosus? Ich nehme an, Ihr habt es mit dem Haarstrangziehen versucht?«
    »Haarstrangziehen?« Ich wusste nicht, was sie meinte.
    »Kennt Ihr die Methode nicht?« Die Mutter bemühte sich, ihre Verwunderung nicht zu zeigen. »Man nimmt dabei ein Büschel langer blonder Haare, möglichst das einer Jungfrau, dreht es zu einem Strang und führt es durch das Öhr einer Nadel. Die Nadel stößt man sodann unter den Beulen hindurch und zieht den Strang aus Haaren hinterher. Diesen Vorgang wiederholt man in verschiedene Himmelsrichtungen bei jeder einzelnen Geschwulst. Ich habe gehört, auf diese Weise sind schon viele geheilt worden.«
    Ich hätte am liebsten geantwortet, dass ich von derlei Hokuspokus nichts hielt, doch die Höflichkeit verbot es, und so sagte ich: »Es gibt vielerlei Methoden, mit der Pest umzugehen. Die Wissenschaft bemüht sich, die beste zu erkennen.«
    »Das ist recht. Nehmt nur noch von dem Kapaun. Die Brust ist am zartesten. He, Maria, gib dem Hund nichts vom Tisch, sonst setzt es was. Ach, was ich fragen wollte: Habt Ihr Euren Toten auch den Zehrpfennig in den Mund geschoben? Das ist ganz wichtig, müsst Ihr wissen, sonst werden in der Familie bald mehrere Angehörige nachsterben.«
    »Nun, äh, ich muss gestehen, dass mir dazu die Zeit fehlte.« Die Mutter hatte offenbar nicht die geringste Vorstellung davon, wie es in einem Pesthospital zuging. Vielleicht aber war das gut so. Es war eine Erfahrung, auf die man gern verzichten konnte. Um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, bat ich den Vater: »Erzählt mir von Eurer Arbeit. Ich stelle mir vor, sie ist schwer, aber auch wichtig.«
    »Das ist sie«, antwortete er, während er einen weiteren Schluck Bier trank. »Der Berg ist wie ein Mensch. Man muss ihn mit Respekt behandeln, darf ihn niemals unterschätzen, sonst grollt er und gibt seine Schätze nicht preis. Es ist harte Arbeit, mit Fäustel und Meißel den Schiefer herauszuhauen, damit aus ihm Kupfer gewonnen wird, das kann ich Euch sagen. Aber seit einigen Jahren sehe ich den Berg mehr von außen als von innen. Bin Sprecher und Vertreter von Meinesgleichen beim Magistrat.«
    »Sicher eine verantwortungsvolle Aufgabe.«
    »Wenn Ihr so wollt.« Der Vater aß weiter.
    Ich merkte, dass sein Mitteilungsbedürfnis erloschen war, und machte keinen weiteren

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