Der Medicus von Heidelberg
Versuch, ihn auf seine Arbeit anzusprechen. Das Einzige, was ihn zu interessieren schien, war das Jurastudium seines Sohnes Martin. Immer wieder fing er mit dem Thema an, erkundigte sich nach allem Möglichen, nach dem Lehrstoff, den Professoren, den Umständen an der Hierana. Luther antwortete zunehmend einsilbig, so dass am Ende jeder erleichtert war, als die Tafel aufgehoben wurde.
Man wies Schnapp und mir eine kleine Dachkammer für die Nacht zu. Es war eine winzige, schräge Höhle, aber es roch darin angenehm nach Tannenholz, und das linnene Bettzeug, das mir eine Magd brachte, war frisch und sauber. Doch bevor ich mich zur Ruhe legte, zeigte Luther mir noch Haus und Hof. Es gab einiges Land und ein paar Haustiere, Federvieh und Borstenvieh, denn wie jeder Bergmann in der Gegend war der alte Luther zugleich auch Bauer. Alles war in gutem Zustand, sauber und gepflegt und zeugte von der Arbeit kundiger Hände. Der Hof erinnerte mich sehr an meines Vaters Hof in Siegershausen, und zum ersten Mal seit vielen Jahren packte mich starkes Heimweh.
»Was ist mit dir?«, fragte Luther.
»Nichts«, antwortete ich, »ich bin nur müde. Wir waren zwei Tage unterwegs, und wenn uns der freundliche Kutscher aus Sömmerda nicht mitgenommen hätte, wären es drei Tage gewesen.«
»Da hast du recht. Wir wollen zu Bett gehen. Die anderen schlafen auch schon. Morgen zeige ich dir mehr von unserem schönen Mansfelder Land.«
»Ist recht«, sagte ich. »Komm, Schnapp, mein Großer, unsere Kammer wartet.«
»Gute Nacht«, sagte Luther.
»Bis morgen«, sagte ich.
Am Sonntag in aller Frühe machten Luther, Schnapp und ich einen langen Spaziergang. Im Licht des jungen Tages grüßten die Ausläufer des Harzes noch dunkel herüber, doch je länger wir gingen, desto mehr schälten sich die Konturen der Berge heraus. Wälder, Wiesen und Weiden in den unterschiedlichsten Grüntönen wurden sichtbar, darunter helle Tupfer, die sich als Vieh herausstellten. Es waren Kühe und Schafe, die sich gemächlich erhoben, muhten, blökten und von dem saftigen Gras zu fressen begannen. Vögel zwitscherten, Grillen zirpten. Eine Landschaft des Friedens vor Tau und Tag.
Luther zeigte mir all das mit einem Stolz, als hätte er bei der Schöpfung selbst mit Hand angelegt. Kein Mensch kreuzte unseren Weg, nur ein Melkknecht aus der Nachbarschaft begegnete uns, das Joch mit den schweren Milcheimern über den Schultern. Er nickte freundlich. »Gott zum Gruße, Martin. Du hast dich lange nicht sehen lassen.«
»Gott zum Gruße«, antwortete Luther. »Wie es scheint, hast du deine Arbeit bereits getan.«
»So ist’s! Es fällt schwer, den Sonntag zu heiligen, wenn die Euter voll sind. Aber ich will mich nicht beklagen.«
»Grüße die Deinen.«
»Du auch, Martin.«
Ein Liedchen summend, zog der Knecht seines Wegs.
»Das scheint ein tätiger Mann zu sein«, sagte ich.
»Hanniel heißt er. Ich kenne ihn von Kindesbeinen an. Er ist ein einfacher Mensch, aber mit seinem Fleiß war er mir immer Vorbild.«
»Du magst wohl keine Faulenzer?«, fragte ich halb im Scherz.
Luther blieb ernst. »Nur wer arbeitet, ist Gott wohlgefällig. Arbeit ist Dienst an Gott.«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber ich glaube, du hast recht.«
»Ich habe viel über Gott nachgedacht. Gott ist eine strahlende Macht, mit der man alles Gute erhoffen und alle Nöte bannen kann. Einen Gott zu haben, das heißt nichts anderes, als von Herzen zu vertrauen und zu glauben. Vertrauen und Glauben sind es, die Gott sichtbar machen. So erscheint uns Gott – und in seiner Begleitung auch Abgott, denn beide haben dieselbe Wurzel.«
»Das mag sein. Mir ist aufgefallen, dass deine Mutter sehr abergläubisch ist«, sagte ich vorsichtig.
»Das ist sie. Sie glaubt an Geister, Hexen und den bösen Blick. Aber wer sollte es ihr verbieten, wenn doch nach jeder Missernte, nach jeder Viehseuche, nach jedem Hagelschlag von der Kirchenkanzel gegen die Hexen als Schuldige gewettert wird?«
»Ich halte es für falsch, in jeder rothaarigen Frau gleich eine Hexe zu sehen. Um ehrlich zu sein: Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass es gar keine Hexen gibt.«
»Da bin ich anderer Meinung.«
»Du, ein Humanist?«
»Auch Humanisten können unterschiedlicher Auffassung sein.«
Schweigend spazierten wir eine Weile weiter. Dann sagte Luther versöhnlich: »Es wird Zeit, nach Hause zu gehen. Um zehn beginnt der Gottesdienst in der St. Georgskirche.« Und mit einem schiefen
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