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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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wieder in alter Stärke.
    Doch mischte sich in die Freude auch Trauer, denn von den mehr als zwanzigtausend Einwohnern waren nicht weniger als dreitausenddreihundert ein Opfer des Schwarzen Todes geworden. Fast ein Sechstel. Und von diesem Sechstel waren mir über zweihundert unter den Händen gestorben. Niemanden hatte ich retten können, wenn man von de Berka und Lilott absah. Und Lilott hatte nicht einmal die wahre Pest gehabt.
    Unter den Toten waren auch einige bekannte Persönlichkeiten der Hierana – wie Professor Ingolf Aperbacchus, der amtierende Rektor, Professor Gansdorff, der Jurist und Regent der Georgenburse, und auch Hiob Rotenhan, der Theologiestudent, der bei jeder Gelegenheit den Weltuntergang voraussah. Seine Schluckmadonna für den vorbeugenden Trank gegen die Pest hatte sich als todsicher erwiesen. Ich erfuhr davon, als ich am Tag darauf wieder meine alte Kammer bezog, nachdem ich mich herzlich von de Berka, Hinz, Lilott, Muhme Lenchen, Eustach und Meister Karl verabschiedet hatte.
    Schnapp, mein großer, treuer Hund, bellte freudig, als wir uns wieder in unserer vertrauten Umgebung einrichteten. Langsam füllten sich die leeren Räume und Gänge der Burse. Die Brüder, die wie so viele Erfurter vor der Seuche Reißaus genommen hatten, kehrten zurück. Darunter auch Luther, der die Wochen des Grauens im sicheren Gotha überstanden hatte. »Ich wollte schon wieder nach Erfurt aufbrechen, als mich die Nachricht vom Pestausbruch erreichte«, erzählte er. »Also bin ich in Gotha geblieben und habe die Gelegenheit genutzt, um ein frisch erworbenes Werk zu studieren.«
    »Welches Werk?«, fragte ich.
    »Den
Codex juris
des Justinian. Er besteht aus einem gewaltigen Band, der mit zahllosen Glossen und Kommentaren gespickt ist, dazu aus weiteren Bänden, die sich mit der Auslegung des Werks beschäftigen.«
    »So ein Kodex ist sicher sehr teuer?«
    »Das ist er. Er gilt als eine Art Bibel der Juristen, und ich konnte ihn mir nur leisten, weil mein Vater ihn bezahlt hat. Vater hat auch den ganzen Aufenthalt in Gotha bezahlt, und er würde noch viel mehr bezahlen, wenn es nötig wäre, denn es ist sein größter Wunsch, aus mir einen Paragraphenreiter zu machen.«
    »Das hört sich an, als würdest du ungern einer werden.«
    »Ungern wäre zu viel gesagt.« Luther zögerte. »Die Juristen sind, wie du weißt, überall hoch angesehen, und es gibt unter ihnen viele Humanisten. Habe ich dir von Mutianus Rufus erzählt?«
    »Nein, noch nicht.«
    »Ich habe ihn wie beabsichtigt in Gotha kennengelernt und ihm von uns und den Brüdern berichtet. Er fühlt sich den
Humanistae Hieranae
sehr verbunden. Ich soll alle, die sich dazuzählen, auf das Herzlichste grüßen.«
    »Danke«, sagte ich. »Jeder, der humanistisch denkt, ist ein Gewinn für die Allgemeinheit.«
    »So sehe ich es auch.« Luther griff zur Laute, schlug spielerisch ein paar Akkorde an und fuhr dann fort: »Mutianus ist Mitte dreißig, klug und warmherzig. Er ist
Doctor decretorum,
also Kirchenrechtler, und es heißt, er habe großen Einfluss auf den Kurfürst Friedrich von Sachsen. Ich habe sehr anregende Gespräche mit ihm geführt. Mit ihm und manchen anderen. Allesamt Humanisten wie Herbord von der Marthen und Georg Spalatin. Beide sind wie ich Magister Artium und Student der Rechte an der Hierana.«
    Mit einem Lächeln sprach er weiter: »Da studiert man an derselben Universität und muss doch erst nach Gotha fahren, um Gleichgesinnte zu treffen.« Er hielt inne und fügte hinzu: »Aber ich reite die Jurisprudenz ja erst im Anfangssemester, vielleicht liegt es daran. Jedenfalls ist es schade, dass du nicht dabei sein konntest. Ich habe selten interessantere und erhebendere Diskussionen geführt.«
    »Das glaube ich gern«, sagte ich und dachte an das Leid und Elend, das ich währenddessen in de Berkas Haus kennengelernt hatte.
    Luther legte die Laute beiseite. »Als ich in Gotha war, habe ich einen Brief von meinem Vater erhalten. Er bittet mich, ihn zu besuchen, damit ich von meinem Studium berichte. Offen gestanden habe ich wenig Lust dazu, aber ich muss es wohl tun. Nicht zuletzt, weil Vater sein ganzes Geld zusammenkratzt, um mich zu unterstützen.« Er machte eine Pause, und ich spürte, dass er etwas Wichtiges anfügen wollte.
    »Ja«, sagte ich. »Und?«
    »Willst du nicht mitkommen nach Mansfeld?«
    »Nach Mansfeld?«
    »Da wohnen Vater und Mutter. Da bin ich zu Hause.« Luther sah mich erwartungsvoll an. »Bitte, komm mit.«
    Ich

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