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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Ovid-Rezitator, wollte nach Leipzig, um dort eine entfernte Cousine zu heiraten. Was danach aus seinem Studium werden sollte, wusste er nicht zu sagen. Doch fand er die Vorstellung erheiternd, der erste vermählte katholische Priester zu sein. Eobanus Koch und ich schienen die Einzigen zu sein, die der Hierana die Treue halten wollten.
    »Bei allen Heiligen, was zieht ihr für Gesichter, Brüder!«, rief Tilman von Prüm irgendwann. »Heut ist heut, da lasst uns lustig sein. Wie heißt es so schön bei Ovid:
Tristis eris, si solus eris.
Traurig wirst du sein, wenn du allein sein wirst. Prosit!«
    Wir stießen mit ihm an und tranken. Dann fiel mir ein, dass Faustus Jungius, der Römer, und Hiob Rotenhan, der Weltuntergangsbeschwörer, nicht mehr unter uns weilten, und wir erhoben uns und tranken auch auf sie.
    Dann tranken wir auf Luther, der sich, wie Barward Tafelmaker anmerkte, im Kloster einmauern lassen wollte und fortan für alle Meidlin dieser Welt verloren war.
    Dann tranken wir auf Tilman von Prüm, der durch das geplante Joch seiner Ehe ebenfalls für alle Meidlin dieser Welt verloren war.
    Dann tranken wir auf Eobanus Koch und darauf, dass er – wie er stets behauptete – ein Sonntagskind war und deshalb besonders begabt sein müsse.
    Dann tranken wir auf Barward Tafelmaker und darauf, dass die Null in seiner Geldkatze baldigst hohen Zahlen Platz machen möge.
    Dann tranken wir auf Ulrich von Hutten und darauf, dass der Herrgott ihm eine kräftigere Statur schenken möge – damit er den Röcken schneller nachlaufen könne.
    Dann tranken wir auf mich und darauf, dass ich die Pest überlebt hatte und gewiss einmal ein großer Diagnostiker und Harnprophet werden würde.
    Dann tranken wir auf Schnapp und darauf, dass er sich mit einer Stute kreuzen möge.
    Dann tranken wir auf das leere Weinfässchen, umarmten es der Reihe nach und freuten uns, dass es noch ein weiteres gab.
    Dann tranken wir … ich weiß nicht mehr, auf was wir noch alles tranken. Nur, dass wir am Ende alle weinten, weil Luther zum Kloster aufbrechen musste, wohin wir ihn selbstverständlich begleiten wollten. Wir zogen durch die Straßen Erfurts, heldenhaft um einen aufrechten Gang bemüht, denn es war helllichter Tag, die Stunde der Non, und mit jedem Schritt, der uns dem Kloster näher brachte, wurden wir nüchterner. Luther ging zielstrebig voran, nur mit der Bursarierkutte bekleidet, die Laute auf dem Rücken. Seine wenige Habe hatte er zuvor unter uns Brüdern verteilt. Vor dem Kloster der Augustiner-Eremiten blieb er stehen. Er drehte sich zu uns um und machte Anstalten, eine Rede zu halten. Doch er fand keine Worte. Stattdessen traten ihm Tränen in die Augen. Auch uns erging es nicht anders. Er senkte den Kopf, sprach ein kurzes Gebet und sagte nur: »Heute sehet ihr mich und nimmermehr.«
    Dann schritt er durch das geöffnete Klostertor und verschwand, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Schweigend trennten wir Zurückgebliebene uns und gingen unserer Wege. Zur Georgenburse war es nicht weit, denn sie lag wie das Kloster in der Augustinergasse. Schnapp und ich betraten unsere Kammer. Wir wollten für uns sein, vielleicht ein wenig schlafen. Doch dazu kam es nicht. Denn auf meinem Tisch lag wieder etwas, das ich schon kannte. Eine Pomeranze!
    Odilie! Ein Gruß von meiner Prinzessin!
    Ich nahm die Frucht und betrachtete sie wie ein Kleinod. Die Gewissheit, dass Odilie sie in der Hand gehalten hatte, machte sie fast zur Reliquie. Doch welche Botschaft verband sich mit ihr? Schon zweimal hatte ich die Frage nicht beantworten können. »Schnapp«, sagte ich, ihm die Frucht zeigend, »was will Odilie uns damit sagen?« Und Schnapp, der wohl dachte, sie sei für ihn, sprang hoch und schnappte fröhlich danach. Dadurch fiel sie mir aus der Hand, kullerte zu Boden und blieb in einer Ecke liegen. Ärgerlich bückte ich mich, hob sie auf – und hielt mitten in der Bewegung inne. Die Frucht hatte sich verändert. Das kleine grüne Endstück, das nach dem Pflücken übrig geblieben war, fehlte. Es war durch die Erschütterung herausgefallen und hatte den Blick nach innen freigegeben. Die Pomeranze ist eine Frucht, die im Gegensatz zu anderen in der Mittelachse einen Hohlraum aufweist, und in diesem Hohlraum, das erkannte ich nun, steckte ein zusammengerolltes Papier. Mit hastigen Bewegungen fingerte ich es heraus, entrollte es und las:
    Zu spät, zu spät! Leb wohl.
    Für immer Deine P.
    Das »P« stand zweifellos für »Prinzessin«,

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