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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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weiterlaufen.«
    »Wie Gott uns schuf.«
    »Sei’s drum, uns sieht ja keiner.«
    Wir zogen uns aus, nahmen die nassen Kleider über den Arm und gingen weiter. Als die Dunkelheit einsetzte, sahen wir schon die Ausläufer von Erfurt. Wir hielten an und blickten uns um. Eine Hütte stand in der Nähe. »Lieber Gott, gib, dass sie unbewohnt ist«, sagte Luther. »Schauen wir mal nach.«
    Nackt, wie wir waren, näherten wir uns vorsichtig, doch unsere Befürchtungen waren unbegründet. Die Hütte stand leer. Nur ein Bett, ein Tisch und ein Schemel waren darin. Dazu eine Reihe von Körben und ein paar schartige Messer, die verstreut herumlagen. Auf dem Boden entdeckten wir vertrocknete Pilze. »Wir sind in der Behausung einer Pilzsammlerin«, sagte Luther.
    »Da magst du recht haben.« Ich nahm Luthers und meine Wäsche und breitete die Stücke zum Trocknen aus.
    »Das Bett ist recht eng für zwei.« Luther setzte sich auf den Rand.
    »Wer müde ist, kann schlafen.«
    »Wenn er in Gottes Hand ist.« Luther streckte sich aus und sprach ein Gebet. Nach dem Amen legte ich mich zu ihm und fragte: »Wer ist eigentlich die heilige Anna, der du dich so verpflichtet fühlst?«
    »Die Mutter unserer Gottesmutter.«
    »Also die Großmutter von Jesus Christus?«
    »Ja.« Luther gähnte. »Und die Schutzpatronin der Bergleute und die Bewahrerin vor Krankheiten und Gewittern.«
    »Jetzt verstehe ich. Gute Nacht, Martin.«
    »Gute Nacht, Lukas.«
    Am nächsten Tag, dem Donnerstag dieser ereignisreichen Woche, erreichten wir Erfurt. Wir gingen durch die vertrauten Straßen, erreichten die Georgenburse und standen uns kurz darauf im Oberstock vor der Tür zu meiner Kammer gegenüber. Bis dahin hatten wir kaum ein Wort gewechselt, denn jeder hatte seinen eigenen Gedanken nachgehangen, aber nun fragte ich Luther: »Sag, willst du immer noch ein Mönch werden?«
    »Ja, das will ich.« Er sah mich ruhig an. »Ich glaube, das Gewitter gestern war ein Zeichen von Gott in der Höhe. Er wollte mir sagen, dass ich ihm gehöre, mit Leib und Seele – und nicht den Paragraphenreitern.«
    Ich sagte daraufhin nichts, denn mir fiel ein, dass vor dem Pestausbruch unter den Humanisten einiges über Luther gemunkelt worden war. Es hatte geheißen, er habe sich zwei Jahre zuvor am eigenen Degen so schwer verletzt, dass er fast verblutet wäre, und er habe einen Jugendfreund verloren, der ihm sehr nahegestanden hätte. Außerdem, das stand fest, waren seine Brüder Fabian und Johann an der Pest gestorben. Alles zusammengenommen konnte es sein, dass die erlebte Todesnähe seinen Wunsch, ein Mönch werden zu wollen, geweckt hatte. Das gewaltige Gewitter mochte dann den Ausschlag gegeben haben. »Es ist deine Entscheidung, Martin«, sagte ich. »Aber du weißt, was du deinen Eltern damit antust.«
    »Ja, das weiß ich«, sagte er leise. »Aber wer von Gott gerufen wird, der muss gehorchen. Das werden auch Vater und Mutter einsehen.«
    Ich wog seine Worte ab und legte ihm spontan meine Hände auf die Schultern. »Ganz gleich, wofür du dich entscheidest, ich werde immer dein Freund sein.«
    Luther traten Tränen in die Augen. »Danke, Lukas«, sagte er bewegt. »Danke für deine Treue. Vielleicht wird der Tag kommen, an dem ich einen guten Freund brauche.«
    Dann trennten wir uns.
     
    Der siebzehnte Juli war der Tag, an dem ich Luther zum letzten Mal sah. Er war unerschütterlich bei seinem Entschluss geblieben und hatte alle seine Freunde zu einem letzten Umtrunk in den
Färberwaid
eingeladen.
    Ich kann nicht behaupten, dass die Stimmung besonders ausgelassen war, obwohl Luther es an nichts fehlen ließ. Bier und Wein, Käse, Nüsse, Rettiche, alles zur Stärkung von Geist und Gaumen war in reichem Maße vorhanden. Doch die Brüder hielten sich am Anfang zurück. Was nicht nur daran lag, dass Luther der weltlichen Gemeinschaft für immer Lebewohl sagen wollte, sondern auch daran, dass viele von uns beschlossen hatten, Erfurt zum Semesterende zu verlassen. Die Gründe dafür waren vielfältig. Ulrich von Hutten hatte sich entschieden, nach Köln zu gehen, einerseits, weil er von sprunghaftem Wesen war, andererseits, weil er hoffte, dort den berühmten Humanisten Jakob Magdalius von Gouda zu treffen. Barward Tafelmaker, den Mathematicus, zog es ebenfalls in die Domstadt, in erster Linie, weil er dort eine ältere begüterte Schwester hatte, von der er sich eine Bereicherung seiner stets klammen Geldkatze erhoffte. Tilman von Prüm, der Theologe und

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