Der Medicus von Heidelberg
Auch andere Frauen kommen dort nieder. Meistens nachts oder in den Morgenstunden. Und meistens begleitet von Wehgeschrei. Deshalb solltet Ihr einen festen Schlaf haben, sofern der Spitalmeister Euch eine von den beiden Wäschekammern im zweiten Oberstock zuweist. Fragt ihn, ob er’s tut, er ist ein freundlicher Mann. Und sagt ihm, ich würde Euch schicken.«
»Nochmals von Herzen Dank, Herr Professor.«
»Schon gut. Wir sehen uns dann übermorgen.«
Schnapp und ich gingen aus der Tür und lenkten unsere Schritte zum Kornmarkt, wo wir feststellen mussten, dass das Stadthospital nicht nur aus einem Gebäude bestand, sondern aus mehreren: dem Pfründnerhaus, dem Gebärhaus, dem Wirtschaftshaus, der Apotheke und dem eigentlichen Hospital, das wiederum eine Krankenhalle und eine Kapelle beherbergte. Ein kleiner Friedhof für die verstorbenen Kranken schloss sich an. Da ich nicht wusste, welcher Zweck sich hinter welchem Gebäude verbarg, brauchte ich einige Zeit, bis ich mich zurechtgefunden hatte.
Ich trieb den Spitalmeister im Pfründnerhaus auf, wo er mit seiner Familie wohnte. Er hieß Berthold Waldseer und war ein Mann mit mächtigem Leib, wallendem Bart und geröteter Nase, deren Farbe auf ein inniges Verhältnis zum Wein hinwies. Ich entbot die Tageszeit, richtete einen Gruß von Koutenbruer aus und brachte mein Anliegen vor.
»Soso, vom Professor kommt Ihr also«, sagte Waldseer mit dröhnendem Bass. »Und eine Kammer braucht Ihr?«
»So ist es, Herr Spitalmeister.«
»Hm, hm.« Waldseer griff sich nachdenklich in den Bart, klaubte ein paar Haare heraus und zwirbelte sie zusammen. »Es wäre wohl möglich, die kleinere der beiden Wäschekammern freizuräumen. Es müssten nur das Linnen, die Kissen und die Matratzen in die andere Kammer geschafft werden.«
»Das könnte ich übernehmen.«
Waldseer wunderte sich. »Ihr, ein Studiosus?«
»Ich bin mir für körperliche Arbeit nicht zu schade.«
»Hm, hm. Und was ist mit dem Hund?«
»Der ist lammfromm.«
»Hm, hm.« Waldseer zwirbelte noch immer seinen Bart. Dann lachte er plötzlich. »Und wenn nicht, dann kann er mit den Kreißenden um die Wette heulen. Die adligen Damen können’s am lautesten, das sag ich Euch.«
»Die adligen Damen?«
»Hat der Professor die nicht erwähnt? Dann sollte ich vielleicht das Maul halten, aber sei’s drum. Wenn Ihr im Gebärhaus wohnt, werdet Ihr’s früher oder später doch erfahren: Im ersten Oberstock gibt es eine abgeteilte Kammer, hübsch eingerichtet und bequem, für die hochwohlgeborenen Damen. Dort kommen sie heimlich nieder, denn nicht jedes Kind ist dem Ehemann willkommen, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
»Ich verstehe.«
»Der Herr Professor ist meistens persönlich dabei, wenn die schwere Stunde naht, nicht nur unsere Wehmütter.« Waldseer zwirbelte weiter und fügte hinzu: »Er ist vonseiten der Universität für die Geburten verantwortlich, müsst Ihr wissen. Und für die Lepraverdächtigen im Übrigen auch. Er untersucht sie nach den Regeln der Lepraschau, und wenn sie krank sind, schickt er sie zum Gutleuthof bei Schlierbach, in sichere Entfernung von der Stadt. Aber nun müsst Ihr mich entschuldigen, die Handwerker setzen neue Läden vor die hinteren Fenster, und das will beaufsichtigt sein.«
Später am Tag, als ich bereits in meine Wäschekammer eingezogen war, hatte er die Freundlichkeit, mich überall herumzuführen. Während er mir die einzelnen Häuser von innen zeigte, erzählte er, dass die Verwaltung des Hospitals durch den Stadtrat und deren Vertreter erfolge, zurzeit durch den Herrn Professor, den ich bereits kennengelernt hätte, durch den Domvikar der Heiliggeistkirche und durch den pfälzischen Haushofmeister. Waldseer lachte in seiner dröhnenden Art und fuhr fort: »Ihr seht, unser allergnädigster Kurfürst lässt sich auch hier ein Mitspracherecht nicht nehmen.«
Dann sprach er weiter, betonte, dass die eigentliche Verantwortung bei ihm läge, da den Herren die Zeit für die Arbeiten des Alltags fehle, und zeigte mir auf meinen Wunsch hin ausführlich das Hospital, das Gebärhaus und die Apotheke. »Ins Hospital kommen fast nur Kranke, Alte, Invalide und Bettler«, erklärte er. »Die Kosten dafür übernimmt die Stadt. Die Pflege der armen Seelen übernehmen unsere ›Kundigen Frauen‹, meistens Witwen, Nonnen oder alte Jungfern.«
Wieder lachte er. »Wenn Brüche, Zähne oder offene Wunden zu behandeln sind, wird der Bader oder der Zahnbrecher geholt. Einen Medicus
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