Der Medicus von Heidelberg
doch was bedeutete »zu spät«? Irgendetwas musste in Odilies Leben eingetreten sein, das nicht mehr rückgängig zu machen war. Aber was?
Fieberhaft öffnete ich die beiden anderen Pomeranzen und stellte fest, dass sie auf die gleiche Weise mit Botschaften versehen waren. Die eine hieß:
Bitte, komm nach H.!
In Liebe, Deine P.
Die zweite Nachricht lautete:
Es eilt! Bitte, komm schnell!
Deine Dich liebende P.
Odilie hätte meine Hilfe dringend gebraucht, so viel stand fest. Und jetzt schien es zu spät zu sein. Wie dumm war ich gewesen! Ein einziger Schnitt hätte genügt, und die Pomeranzen hätten ihr Geheimnis preisgegeben. Stattdessen hatte ich sie in der Hand gehalten und sie angeglotzt wie ein Uringlas bei der Harnschau. Welch selten blöder Esel ich doch war!
Wie ein Tier im Käfig rannte ich auf und ab, tausend Gedanken im Kopf, dann blieb ich entschlossen stehen. Ich schrieb ein paar Briefe, darunter einen an meinen Freund de Berka, in dem ich ihm meine Lage erklärte und darum bat, mein Werk
Observationes de peste laborantibus
in Druck zu geben, packte meine wenige Habe in die alte Weidenkiepe und sagte zu Schnapp: »Komm, mein Großer, wir gehen zu Odilie.«
Schnapp legte fragend den Kopf schief.
»Ja«, sagte ich, »noch heute. Auf nach Heidelberg.«
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Teil 3
Der Medicus
Kapitel 13
Heidelberg,
7 . bis 29 . August 1505
E s war an einem Donnerstagmorgen Anfang August, als ich über die sieben Bögen der Alten Brücke von Heidelberg schritt, die Doppeltürme am Brückentor passierte und in das pulsierende Leben der Stadt eintauchte. Es war ein schöner Sommertag, und ich wäre am liebsten sofort zum Kurpfälzischen Schloss hinaufgelaufen, um meine Prinzessin zu treffen. Doch die Vernunft sagte mir, dass unser Wiedersehen warten musste. Wichtiger war zunächst, ein Dach über dem Kopf zu finden und einen Studienplatz zu bekommen.
Deshalb saß ich wenige Stunden später einem kleinen, zierlichen Mann namens Hermann Koutenbruer gegenüber. Koutenbruer war Inhaber der zweiten ordentlichen »Professur der Artzeney« an der altehrwürdigen Heidelberger Universität, der Ruperto Carola. Jeder Zoll an ihm wirkte peinlich korrekt, was sich auch dadurch äußerte, dass er zum Zeichen seines Ranges die Professorenkette mit dem Gnadenpfennig um den Hals trug – als Hinweis darauf, dass der Landesherr ihm in Gnaden seine Würde verliehen hatte.
Er war dreiunddreißig Jahre alt und stammte aus Neuss am Rhein. Seine Herkunft sprach für eine beschwingte, sangesfrohe Natur, doch das Gegenteil war der Fall. Er gehörte zu den Ernsten im Lande. Und mit ernster Miene verkündete er mir: »Mein lieber Nufer, dass Ihr ein Studiosus der Medizin seid, mag sein. Ich will Euch gern glauben, doch wo ist der Beweis? Ihr habt keinerlei Papiere, die Euch legitimieren könnten.«
Ich biss die Zähne zusammen, denn eine ganz ähnliche Situation hatte ich schon einmal erlebt, als es galt, den ehrenwerten Rektor Paulus Huthenne an der Hierana von meinem Status als Studiosus zu überzeugen. Ich ärgerte mich, dass ich so Hals über Kopf aufgebrochen war. Die Reise nach Heidelberg hatte drei Wochen gedauert, da wäre es auf einen Tag mehr oder weniger nicht angekommen, und ich hätte mir alle wichtigen Papiere noch besorgen können. »Ich habe meinen Pass und die Bescheinigung über meine Immatrikulation, Herr Professor. Hier, wenn Ihr Euch überzeugen wollt: Am vierten September 1504 schrieb ich mich an der Hierana in Erfurt ein.«
Koutenbruer wischte sich mit dem Zeigefinger die Nase, einmal hin, einmal her, und seufzte. »Das ist ja alles schön und gut, Nufer, aber ich liebe es, wenn die Papiere vollständig sind. Eine Immatrikulationsbescheinigung muss noch lange nicht heißen, dass Ihr auch tatsächlich studiert habt.«
»Ich habe regelmäßig die Lesungen von Professor Justus Rating de Berka besucht, der Euch namentlich bekannt sein dürfte.«
»Sicher, sicher.« Koutenbruer blickte zweifelnd erst auf mich und dann auf Schnapp, der zu meinen Füßen lag. Wir befanden uns im Diensthaus der medizinischen Fakultät, einem schönen Gebäude mit angeschlossenem Kräutergarten. Das Haus lag an der östlichen Verlängerung der Oberspeirischen Straße und war eigentlich dem Inhaber der ersten Medizinprofessur als Wohnort vorbehalten, aber die Professur war zurzeit nicht besetzt, und so hatte Koutenbruer hier umsonst Unterkunft beziehen können.
Doch das war nicht die einzige Vergünstigung, derer er sich
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