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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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werdet Ihr hier nicht finden – und einen Studiosus auch nicht.«
    »Wie steht es mit Sektionen?«, fragte ich.
    »Sektionen? Ihr meint das Aufschneiden von Leichen?« Waldseer schüttelte sein mächtiges Haupt. »Gibt’s hier nicht.«
    Er ging weiter und zeigte mir die beiden Krankensäle, einen für die Frauen und einen für die Männer. Ich sah, dass die Fensteröffnungen zum größten Teil verglast waren, so dass viel Licht in die Räume fallen konnte. Zwischen den Fenstern waren an der Mauer Öllämpchen aus Keramik angebracht. Beide Säle waren nur zur Hälfte belegt. Die Kranken lagen in einfachen, aber sauberen Betten und musterten uns mit matten Blicken.
    »Worunter leiden die Patienten gewöhnlich?«, fragte ich.
    Waldseer zuckte mit den breiten Schultern. »Dies und das, je nach Jahreszeit. Genau weiß ich’s nicht. Bin froh, wenn ich selbst nichts habe und mich nicht anstecke. Wenn Ihr’s genau wissen wollt, müsst Ihr eine von den Kundigen Frauen fragen.«
    Da aber keine im Saal war, ging er weiter und führte mich in die kleine Kapelle. Hier waren die Glasscheiben in den Fenstern sogar farbig und die Bodenfliesen kunstvoll verziert. Sie schmückten die halbrunde Apsis. Über dem Altar hing eine vergoldete Lampe, die das ewige Licht für das Seelenheil der Verstorbenen spendete. »Hier beten die Kranken und Kreißenden zur Gottesmutter«, sagte Waldseer, bevor er die Kapelle wieder verließ und das Gebärhaus ansteuerte.
    Im Gebärhaus, einem hohen Bau mit steilem Giebel, kannte ich mich schon ein wenig aus und wusste, dass die werdenden Mütter im Erdgeschoss untergebracht wurden, wo ein Ofen aus glasierten Kacheln dafür sorgte, dass die Neugeborenen sich nicht verkühlten. Eine Wöchnerin saß in ihrem Bett, den Säugling an der Brust. Sie war jung, höchstens vierzehn Jahre alt, und ihr Blick eine Mischung aus Ängstlichkeit und Verschlagenheit. Man musste kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass sie aus einem der Freudenhäuser Heidelbergs kam.
    Das Stockwerk darüber barg den geheimnisvollen Raum für die adligen Damen, in dessen Mitte ein prächtiges Pfostenbett mit Baldachin stand. Daneben ein mit Samt ausgepolsterter Gebärstuhl, eine Kredenz mit Krug und Wasserschüssel sowie chirurgischem Besteck, darunter auch ein Schnäpper für den Aderlass. Ferner eine aufrecht stehende Kastentruhe mit Stapeln frischer Leinentücher.
    »Wenn’s ans Entbinden geht, sind alle Weiber gleich. Dann nützt auch der ganze Luxus nichts mehr«, brummte Waldseer und verließ den Raum. Ich folgte ihm, und er führte mich zum Nebenhaus, in dem sich die Apotheke befand. Das Haus besaß an der Frontseite ein großes Fenster, durch das der Verkauf alltäglicher Arzneien erfolgte. Wer eine besondere Beratung brauchte, betrat durch die Tür die Offizin und sprach mit dem Apotecarius – in diesem Falle mit Amandus van Ryjk, einem Mann aus der Provinz Holland, der einen ebenso verdorrten Eindruck machte wie seine getrockneten Kräuter, die bündelweise im hinteren Bereich des Raums hingen.
    Nachdem wir ein paar freundliche Worte gewechselt hatten, verabschiedeten wir uns, verließen die Offizin und traten in die abendliche Sonne hinaus. »Ich danke Euch sehr für die Führung, Herr Spitalmeister«, sagte ich mit einer höflichen Verbeugung.
    »Es war mir eine Freude.« Waldseer zwinkerte mit einem Auge. »Nicht zuletzt, weil es Tage gibt, an denen ich mich gern von der Arbeit abhalten lasse.«
    Ich lachte höflich und kehrte ihm den Rücken, um meine Wäschekammer aufzusuchen, in der Schnapp die ganze Zeit gewartet hatte. »Schnapp, mein Großer«, sagte ich, »wenn wir Glück haben, werden wir unsere Prinzessin bald wiedersehen. Ich habe mir etwas überlegt.«
    Und das hatte ich in der Tat. Lange hatte ich gegrübelt, wie ich den Kontakt zu Odilie herstellen könnte, ohne auf die naheliegendste Möglichkeit zu kommen: die in einer Pomeranze verborgene Botschaft. Odilie würde die Frucht sofort erkennen und wissen, wer sie ihr geschickt hatte. Nur, was sollte ich schreiben? Ich konnte keine langen Erklärungen abgeben, dafür war kein Platz. Deshalb schrieb ich nur:
    Triff mich auf dem Markt vor der Heiliggeistkirche.
    In Liebe, L.
    In das kleine Papier rollte ich ein Rosenblatt ein, steckte es in die hohle Mittelsäule der Pomeranze, verschloss sie und sagte zu Schnapp: »Komm, wir machen einen Spaziergang.«
    Wir gingen den kurzen Weg zur Heiliggeistkirche, die gleichzeitig Universitätskirche war und deren Emporen

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