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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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weißt du es. Der Herrgott hat es doppelt gut mit dir gemeint. Freue dich also.«
    »Ich … kann nicht mehr.«
    »Natürlich kannst du noch. Du legst dich einstweilen wieder ins Bett, das ist bequemer. Danach sehen wir weiter.«
    Der Wechsel zwischen Gebärstuhl und Bett fand insgesamt noch dreimal statt, und Berta wurde schwächer und schwächer. Rosanna jedoch, so schien es, wurde mit jedem Mal auf wundersame Weise stärker. Unermüdlich sprach sie Berta Mut zu, rieb sie mit belebendem Kampfer ein, betete mit ihr und erzählte ihr Geschichten aus ihrem langen Leben, während ich hinter ihr stand und ihr den Rücken stützte.
    Gegen Morgen des nächsten Tages endlich schien es so weit zu sein. Rosanna zeigte mir die Öffnung des Geburtskanals, die sich bereits sehr geweitet hatte. »Das Köpfchen ist schon sichtbar, es dauert nicht mehr lange«, sagte sie, während sie Öl auf die überdehnten inneren und äußeren Geburtsteile strich. »Versucht es auch einmal.«
    Ich setzte ihre Arbeit fort, zunächst zögernd und wenig geschickt, dann zunehmend sicherer. Um das Gespräch in Gang zu halten, sagte ich: »Ich habe bei Professor Koutenbruer gehört, dass der Gebärenden eine Kompresse aus Wolle unterzulegen ist. Der Damm soll gestützt werden, weil die Anspannung oft Vorfälle und Einrisse verursacht.«
    »Da hat der Professor recht. Aber in diesem Fall ist eine Stützung nicht notwendig, weil die Öffnung groß genug ist und weil bei Zwillingen jedes Kindlein kleiner ist als bei einer Einzelgeburt.«
    Das leuchtete mir ein. Ich wollte mit meinen Bemühungen fortfahren, wurde aber von einem Aufstöhnen Bertas unterbrochen. Gleichzeitig zog sich ihr Leib zusammen, sie presste heftig, das Stückchen Kopf in der Öffnung wurde größer.
    Rosanna sagte: »Du hast es gleich geschafft, Berta. Das erste Kindlein kommt. Atme ruhig weiter und dann presse wieder. Ich verspreche dir, wenn das Erste da ist, geht es beim Zweiten wie von selbst.« Und zu mir sagte sie: »Lauft und schafft die anderen Kundigen Frauen herbei. Hier werden gleich viele Hände gebraucht.«
    Und so war es auch. Mit vereinten Kräften wurden die Zwillinge geholt, die Nabelschnüre abgebunden und durchtrennt – ich hatte wieder die Ehre, das tun zu dürfen –, die Nachgeburt auf Vollständigkeit geprüft, die kleinen Leiber mit warmem Wasser von Krusten und klebrigem Blut gereinigt, in wollene Tücher gewickelt und schließlich der jungen Mutter an die Brust gelegt.
    Das alles war wie ein Wunder für mich. Ein Wunder, entstanden aus Erfahrung, Geduld, Zuwendung und Standhaftigkeit, das mich in seiner Einmaligkeit überwältigte. Ich fühlte, wie mir die Tränen kamen, und spürte plötzlich eine Hand auf meiner Schulter. Sie gehörte Rosanna. Ich wollte mich abwenden, damit sie meine Schwäche nicht sah, doch sie hielt mich fest. Mit ernster Miene sagte sie: »Schämt Euch nicht Eurer Tränen, Herr Studiosus. Sie zeigen, dass in Euch ein Mensch steckt – und das Zeug zu einem guten Arzt.«
    »Danke«, flüsterte ich, »danke, Rosanna.«
    Als ich mit Schnapp das Gebärhaus verließ, begegneten wir Professor Koutenbruer, der mit gesetzter Miene einen guten Morgen wünschte und mitteilte, er habe von einer schwierigen Geburt gehört, da wolle er nach dem Rechten sehen.
    Wir gingen weiter, hinaus in den herbstlichen Morgen mit seiner klaren, taufrischen Luft. Jeder Baum, jedes Haus, jedes Ding war noch an seinem alten Platz, und doch sah alles ganz anders aus – auf eine neue, besondere Art.
     
    Drei Wochen waren nach diesem Erlebnis ins Land gegangen. Ich hatte sie genutzt, um Vorlesungen von Professor Koutenbruer zu besuchen, literarische Werke zu studieren und mich dank Rosannas Hilfe weiter in der Praxis fortzubilden. Es war ein ruhiges, geregeltes Leben, und ich hätte zufrieden sein können, wenn die große Sehnsucht nach meiner kleinen Frau und Prinzessin nicht gewesen wäre.
    An mehreren Tagen war ich auf den Markt bei der Heiliggeistkirche gegangen, in der unbestimmten Hoffnung, irgendwo eine alte Obstbäuerin mit fleckiger Schürze und abgetragener Haube zu entdecken, doch ich sah niemanden, der dafür in Frage kam. Fischel, der mir bei der Gelegenheit den einen oder anderen Fisch für die Hospitalküche zusteckte, versuchte, mich aufzumuntern: »Sie wird sich schon melden«, sagte er. »Eines schönen Tages liegt wieder eine Pomeranze vor deiner Wäschekammertür, in der die Einladung zum gemeinsamen Äpfelverkauf steckt.«
    »Wenn es

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