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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nicht.« Muttchen wirkte auf einmal sehr entschlossen. »So was habe ich immer zur Hand.«
    Da ich sie überrascht anschaute, erklärte sie: »Manchmal geht’s hier recht handfest zu, müsst Ihr wissen. Es kann schon mal sein, dass die Herren sich um eines meiner Mädchen streiten und aufeinander losgehen. Dann fließt nicht selten Blut. Weil die Herren aber keinen Bader kommen lassen wollen, wie Ihr Euch denken könnt, habe ich meine eigene Ausrüstung.«
    »Dann holt sie.«
    Ich ging zurück zu Merle, vorbei an den neugierig blickenden Huren, und sagte: »Es hätte keinen Zweck, dir etwas vorzumachen, Merle. Die Lage deines Kindleins ist nicht günstig. Um ehrlich zu sein: Sie ist sehr ungünstig. Wenn nicht etwas unternommen wird, dann …«
    »Muss ich sterben?«, flüsterte Merle.
    Ich nickte. »Ja, vielleicht. Natürlich können wir beten, aber das allein wird nicht reichen.«
    »Es hat noch nie gereicht.« Merle drehte den Kopf zur Seite. Ich sollte nicht sehen, wie ihr die Tränen kamen.
    Ich legte ihr die Hand auf die feuchte Stirn. »Was hat noch nie gereicht?«
    »Das verdammte Beten.«
    »Sag so etwas nicht.« Ich konnte Merle kaum verstehen, denn sie sprach in die Kissen.
    »Hab den lieben Gott wohl tausend Mal angefleht, er soll mir helfen, wenn’s mir dreckig ging, un er hat mir nich geholfen. Zugelassen hat er, dass ich schwanger wurd. Das is das Einzige, was er hingekriegt hat. Ich glaub nich mehr an den lieben Gott. Un an die Hölle glaub ich auch nich. Lasst mich doch alle in Ruhe.«
    »Ich werde dich nicht in Ruhe lassen«, sagte ich. »Es gäbe noch eine Möglichkeit, dir zu helfen. Ich müsste dir den Bauch aufschneiden und das Kind herausholen.«
    Merle fuhr aus den Kissen hoch. »Nein!«
    »Es ist die einzige Möglichkeit. Ich gebe zu, es ist nicht sicher, ob die Operation gelingt, aber mehr kann ich nicht für dich tun.«
    »Ich will nich, dass in meinem Bauch rumgeschnippelt wird.«
    »Ohne das geht es nicht.«
    »Aber ich hab solche Angst«, schluchzte Merle.
    Ich kam mir sehr hilflos vor. Am liebsten hätte ich gesagt: ich auch. Aber das ging natürlich nicht. Das Einzige, was mir einfiel, war, ihr weiter sanft über die Stirn zu streichen. »Du brauchst keine Angst zu haben.«
    »Hab ich aber.«
    »Vielleicht solltest du ein bisschen schlafen. Wenn du wieder aufwachst, sieht alles besser aus.«
    »Ich weiß nich. Es tut alles so weh, un das Fruchtwasser is auch schon abgegangen, un ich glaub, ich muss wirklich sterben. Aber ich will nich sterben!« Merle weinte jetzt hemmungslos.
    »Schlafe doch ein bisschen«, sagte ich und schaute ihr in die Augen. »Schlafe, schlafe, und alles wird gut. Schlafe …«
    Und Merle schlief fast augenblicklich ein. Ohne nachzudenken, hatte ich ihr den Schlafbefehl gegeben. Hinter mir hörte ich die Huren darüber tuscheln, doch ich kümmerte mich nicht darum, denn Muttchen kam mit einem hölzernen Koffer, legte ihn auf einen Schemel und klappte den Deckel hoch. »Was sagt Ihr dazu?«, fragte sie nicht ohne Stolz.
    Ich sagte nichts. Obwohl die Instrumente von ausreichender Güte waren und in ordentlicher Reihe dalagen, wiesen sie doch einen Makel auf, den ich nicht hinnehmen konnte. »Das Besteck ist schmutzig«, sagte ich. »Überall klebt noch Blut dran. Bitte sorgt dafür, dass es gereinigt wird. Ich möchte, dass es vor Sauberkeit blitzt.«
    Eine der Huren fragte: »Warum die Aufregung, ’s wird doch sowieso wieder blutig?«
    Ich dachte an meinen Vater, dessen Instrumente stets makellos sauber und ohne jeden Rost waren – seiner Meinung nach die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Operation. »Bitte sorgt dafür, dass die Werkzeuge rückstandslos sauber werden«, wiederholte ich, an Muttchen gewandt. Mein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. Einem Einfall folgend, zog ich mein Skalpell hervor und hielt es hoch. »So sauber wie diese Klinge.«
    Muttchen murmelte so etwas wie: »Das haben wir hier noch nie gemacht, und es hat noch keinem geschadet«, aber sie nahm den Koffer und gab ihn weiter an Heddi.
    Ich schloss die Augen und konzentrierte mich, bis jedes einzelne Bild von Vaters Operation so klar vor meinem Auge stand, als wäre sie erst gestern geschehen. Zahllose Male hatte ich in der Vergangenheit an Vaters mutigen Schritt gedacht, doch nie hätte ich für möglich gehalten, ihn selbst einmal gehen zu müssen.
    Ich befahl den Huren, mir dabei zu helfen, die schlafende Merle aufs Bett zu legen und an den Beinen zu ziehen, bis ihr

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