Der Medicus von Heidelberg
insgesamt so einfach, dass es fast lächerlich schien, sich zuvor so viele Gedanken gemacht zu haben.
»Es ist ein Junge«, sagte Muttchen, die mir das Kindlein abnahm.
»Ich sehe es.«
Muttchen scheuchte ein paar ihrer Mädchen auf, damit sie ihr beim Abnabeln, beim Überprüfen der Nachgeburt und beim Waschen und Windeln des neuen kleinen Erdenbürgers behilflich waren, während ich mit Nadel und Faden zunächst die Gebärmutterwand zunähte und anschließend die Bauchdecke. Ich tat es mit kleinen, sauberen Stichen, so wie ich es bei Meister Karl in Erfurt gelernt hatte.
»Welch prächtiger kleiner Junge!«, rief Muttchen. »Dem Herrgott in der Höhe sei Dank, dass alles so gut geklappt hat.« Sie wiegte den Kleinen in den Armen, wurde unvermittelt ernst und sprach ihn an: »Du wirst in diesem Hause viele Mütter haben, so hübsch, wie du bist. Aber leider keinen Vater.«
»Kennt Merle etwa den Vater nicht?«, fragte ich.
»Doch, doch«, versicherte Muttchen, den Kleinen immer weiter wiegend, »aber sie schweigt wie ein Grab. Ein Jammer ist das. Wenn herauskäme, wer der Kerl ist, würde ich ihn zur Kasse bitten, darauf könnt Ihr Gift nehmen.«
»Vielleicht ist es nur ein armer Schlucker?«
»Ihr meint, einer von den vielen Fischern?« Muttchen runzelte die Stirn. »Glaube ich nicht. Zwar kommt immer mal der eine oder andere her, aber haben tun die nicht viel. Und das wenige, das sie haben, lassen sie nicht im Bordell. Dann schon eher einer von den Schmieden. Denen geht’s gut! Wenn man sich von denen eine Hacke für den Garten richten lässt, kostet es gleich ein Vermögen.«
»Vielleicht auch ein Goldschmied?«, fragte ich, während ich mir die Hände wusch und trocknete. »Ich habe gehört, davon gäbe es viele in Heidelberg?«
»Das stimmt, Herr Medicus. Mehr als genug, wenn Ihr mich fragt. Sie sitzen in der Kettengasse und arbeiten von morgens bis abends für die vielen Herrschaften im Schloss. Eine hochnäsige Bande sind sie, diese Goldschmiede. Da wär’s mir schon lieber, wenn’s ein Metzger oder ein Bäcker sein könnte. Das ist was Richtiges. Die nagen nicht am Hungertuch. Oder ein Fuhrmann. Davon gibt es auch nicht wenige. Die haben immer gut zu tun, weil dauernd was zum Schloss raufgekarrt und wieder runtergekarrt werden muss. Andererseits sind Fuhrleute viel unterwegs und gern untreu.« Muttchen kicherte. »Zum Beispiel, wenn sie in ein Bordell gehen.«
»Und was ist mit den Weingärtnern aus der Umgebung?«
»Ihr meint, von denen könnt’s einer sein?« Muttchen kicherte weiter. »Wohl eher nicht. Die erkennt man alle an ihren roten Nasen. Aber wenn ich’s recht bedenke, ist es auch einerlei, zu welcher Zunft der Vater gehört. Er könnte auch Feuerwächter, Seiler, Fassbinder, Pergamentshändler oder fürstlicher Schreiber sein. Für uns ist er in jedem Fall gestorben. Wie gesagt, der Kleine wird viele Mütter haben, denn meine Mädchen können sehr fürsorglich sein. Ihr seht es an Eurem Hund. Sie haben sich die ganze Zeit um ihn gekümmert. Möchte nicht wissen, was sie alles in ihn reingestopft haben.«
»Ich glaube, das möchte ich auch nicht wissen. Komm her zu mir, mein Großer.« Schnapp kam und ließ sich zu meinen Füßen nieder. Ich kraulte ihn, lobte ihn, weil er so lange ruhig geblieben war, und sagte zu Muttchen: »Es ist Zeit, zu gehen, denke ich. Merle ist bei Euch in guten Händen, davon bin ich überzeugt. Ich will sie nur noch rasch wecken.«
Ich trat zu ihr ans Bett und legte ihr die Hand auf die Stirn. »Merle!«, rief ich leise. »Merle, wach auf!«
Sie öffnete die Augen und sah mich fragend an.
»Ich bin es, Lukas Nufer. Ich habe dich operiert. Alles ist überstanden. Du hast einen kleinen Jungen. Sieh nur, Muttchen hält ihn auf dem Arm.«
Muttchen legte den Kleinen an Merles Brust. »Da ist er, gewaschen und gewindelt. Gib ihm zu trinken.«
»Ja«, hauchte Merle glücklich.
»Wie soll er denn heißen?«
»Ich weiß nich.«
»Nun ja, das wird sich finden. Nun gib ihm zu trinken.«
Merle richtete sich im Bett ein wenig auf, damit der Kleine besser an ihre Brust herankam, und erstarrte mitten in der Bewegung.
»Was ist denn?«, fragte Muttchen. Sie folgte Merles Blick, der zur Tür ging, und ich tat es ihr nach. Im ersten Moment sah ich nur den Pulk aus neugierigen Huren, doch beim näheren Hinsehen erkannte ich einen Mann unter ihnen. Er war halb nackt, als habe er gerade der Fleischeslust gefrönt, fett und schwammig, mit verlebtem Gesicht.
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