Der Medicus von Heidelberg
abgemacht. Und denk dir ein schönes Kostüm aus, der Maskenball steht unter einem besonderen Thema. Es heißt: Götter und Helden.«
»Schnapp, mein Großer«, sagte ich am Sonntag zu meinem Hund, »ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich in letzter Zeit wenig um dich kümmern konnte. Und heute muss ich schon wieder ohne dich fort. Aber ich werde unsere Prinzessin wiedersehen, auf einem Maskenball im Schloss. Ich werde sie von dir grüßen, und sie wird sich bestimmt sehr freuen, dass es dir gutgeht.«
Schnapp wedelte mit dem Schwanz und schnupperte an meinem Gewand.
»Ich weiß, das riecht ungewohnt. Es ist die Verkleidung, die ich mir mühsam ausgedacht habe. Ich gehe als Poseidon, mein Großer. Deshalb trage ich Locken aus Leder und eine Meeresgottmaske. Und einen selbstgemachten Dreizack aus Skalpellen trage ich auch. Rosanna wird dich gleich holen und mit dir spazieren gehen. Und wenn ich später wieder da bin, erzähle ich dir, was ich erlebt habe.«
Ich spähte aus dem winzigen Fenster meiner Wäschekammer und sah eine prächtige Kutsche auf den Kornmarkt einbiegen. Sie hielt, und eine mit einer weißen Tunika bekleidete Schönheit entstieg ihr, auf dem Rücken einen Köcher mit Pfeilen, den goldenen Bogen schräg über der Bust. Artemis, die Göttin der Jagd, war gekommen, mich bei Sonnenuntergang abzuholen.
Wenig später fuhren wir über den Schlossgraben hinweg und durch den Torturm hindurch. Lakaien sprangen herbei, halfen uns aus der Kutsche und geleiteten uns über den großen Hof zu dem stattlichen Ruprechtsbau. Zahllose Fackeln tauchten die Umgebung in ein warmes Licht. Von irgendwoher war Flötenmusik zu hören. Unter dem Engelswappen des Portals erwartete uns ein Faun, ein altlatinischer Gott der wilden Natur. Er hatte sich eine blonde Perücke auf den Kopf gestülpt, ansonsten war er nackt bis auf einen Schurz aus Bärenfell. Sein schwammiger Oberkörper war rasiert und mit Symbolen der Lüsternheit, wie roten Phalli und Vulven, bemalt. Ein abstoßender Anblick. Es musste sich bei ihm um den Gastgeber Junker Christoph handeln, denn er nickte jedem Ankömmling zu, und – entlarvender noch – er trug eine schwarze Augenklappe.
Umso angenehmer war der Anblick des zarten Geschöpfs an seiner Seite. Es war eine Ägypterin im blau-goldenen Seidengewand, die eine Pharaomaske mit Uräusschlange trug. Und es war zweifellos – Odilie.
Ich musste an mich halten, um nicht auf sie loszustürmen und sie in die Arme zu schließen, stattdessen ging ich mit steifen Schritten an ihr vorbei, grüßte sie und den Weiberfreund gemessen und schritt in den inneren großen Saal.
»Die kleine Pharaonin am Eingang, das war bestimmt Odilie«, flüsterte Thérèse an meiner Seite.
»Richtig«, bestätigte ich genauso leise, »und der fette Ochse an ihrer Seite war kein Faun, sondern Christoph. Langsam begreife ich, warum er zu einem Maskenball einlud. Da fällt es weniger auf, wenn er sein nekrotisches Auge mit einer Klappe abdeckt.«
»Odilie tut mir leid. Wenn ich mir vorstelle, dass sie mit so einem Kerl ins Bett …«
»Sei still!«
»Ich sage ja gar nichts.« Thérèse schmollte etwas. Doch nicht lange, denn sie hatte zwei freie Plätze in der Nähe der Musikanten entdeckt. »Komm, da werden wir gut sitzen.«
»Meinst du nicht, wir müssen warten, bis man uns Plätze zuweist?«
»Ach, und wenn schon. Hier herrscht so ein Durcheinander, dass niemand daran Anstoß nehmen wird.«
Sie hatte recht. Der Saal hatte sich rasch gefüllt. Es summte darin wie in einem Bienenkorb. Auf der großen Fläche, die später für die Tanzenden vorgesehen war, tummelten sich verkleidete Menschen in einer Vielzahl, als hätten sich sämtliche Kulturen der Erde an einem einzigen Ort versammelt. Ich sah römische Gladiatoren im Gespräch mit griechischen Musen, und ich sah gallische Krieger, die kaukasische Amazonen umarmten. Ich sah Apollon, den Gott des Lichts, mit einem mehrarmigen Leuchter, Pan, den Gott des Waldes, mit einem Zweig in der Hand, und Chronos, den Gott der Zeit, mit einer Sanduhr auf dem Rücken. Ich sah Göttinnen wie Nike und Metis, Phoibe und Tethys, ich sah Cäsar mit seinem Lorbeerkranz und Nero mit seiner Laute, ich sah Alexander den Großen mit dem Gordischen Knoten, Sokrates, den Philosophen, mit dem Schierlingsbecher und Jason, den Argonauten, mit dem Goldenen Vlies. Ich sah Stabmasken und Halbmasken, Bartmasken und Kriegsmasken, Masken in allen Farben und Formen, künstliche
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