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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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statt der Tante lieber Abeline zu Tode gepflegt? Lohnte sich das mehr?«
    Thérèse rümpfte ihr hübsches Näschen. »Wie kannst du nur so übel von mir denken! Ich bin mit Abeline und Steisser gegangen, weil Abeline meine Freundin war. Steisser glaubte ja, sie würde höchstens noch ein paar Monate leben. Er konnte kaum mehr die Hände ruhig halten, wenn ich in seiner Nähe war, der geile Bock, aber es kam anders. Eines Abends, nach einem Mahl, bei dem er wieder wie ein Tier alles in sich hineingeschlungen hatte, fiel er plötzlich um. Der Schlagfluss hatte ihn getroffen. Er machte noch ein paar Japser, dann war er tot.«
    »Ich kann nicht gerade sagen, dass ich ihm nachtrauere.«
    »Das taten Abeline und ich auch nicht. Im Gegenteil, für uns begann eine schöne Zeit. Die hunderttausend Gulden, die er Talacker geben musste, hatten ihn keineswegs verarmen lassen. Er hatte immer noch mehr als genug. Ihm gehörten ein gutbesuchtes Gasthaus in der Gressengasse und paar schöne Häuser bei St. Kilian. Abeline als seine alleinige Erbin verkaufte zwei Häuser und sagte zu mir: ›Es ist ein Wink Gottes, dass er den alten Fresssack vor mir abberufen hat. Jetzt bin ich mein eigener Herr. Ich werde dich adoptieren. Als meine Tochter stehen dir alle Türen offen, und wir können meine letzte Zeit umso mehr genießen.‹
    Fortan schauten wir nicht mehr auf den Pfennig, ließen uns die schönsten Kleider schneidern und besuchten die Empfänge und Bankette in den vornehmsten Häusern der Stadt. Das, was ich mir immer erträumt hatte, war eingetreten.«
    »Und warst du glücklich?«
    »Ja, das war ich.« Thérèse hielt inne und sah mich an. »Nun ja, vielleicht nicht ganz. Ich merkte bald, dass die Männer mich entweder nur verführen wollten oder es auf Abelines Geld abgesehen hatten. Manche erträumten sich wahrscheinlich auch beides. Das machte mich oftmals traurig. Ich merkte, wie wenig hinter dem ganzen vornehmen Gehabe und dem klugen Geschwätz der Patrizier steckt: nichts. Abeline sagte immer: ›Stell dir vor, die Herrschaften wären nackt, und frage dich dann, was übrig bleibt.‹«
    »Sie hat recht«, warf ich ein.
    »Leider starb sie im Januar 1505 . Es war ein kalter Tag. Als es zu Ende ging, weinte sie viel. Zwischen jedem Hustenanfall weinte sie. Sie hustete sich buchstäblich zu Tode. Ich blieb bis zu ihrem letzten Atemzug an ihrer Seite. Als ich ihr die Augen geschlossen hatte, packte mich große Angst. Ich wusste, dass ich mich um alles würde kümmern müssen. Du kannst dir nicht vorstellen, an was man alles denken muss, wenn ein Mensch gestorben ist. Doch gottlob hatte Abeline vorgesorgt. Sie hatte einen Advokaten damit beauftragt, alles zu regeln. Dieser Advokat war es auch, der mir eröffnete, dass es außer mir keine weiteren Erben gab. Alles, was Abeline gehört hatte, sollte ich bekommen. Ich war über Nacht zu einer der reichsten Frauen Würzburgs geworden.«
    »Und warum bist du nicht in Würzburg geblieben?«
    Thérèse sah mich an. »Kannst du dir das nicht denken?«
    Ich schwieg.
    »Jedenfalls kam Würzburg mir nach kurzer Zeit öde und leer vor. Ich ließ Erkundigungen in Erfurt über dich einziehen, denn ich wusste ja, dass du dort studieren wolltest. Aber du warst nicht mehr in Erfurt. Nachdem die Pest über die Stadt hinweggefegt war, seist du nach Heidelberg gegangen, so hieß es. Also versilberte ich alles, was zu versilbern war, schickte meinem Vater eine hübsche Summe für die Familie und brach nach Heidelberg auf.« Thérèse lächelte entwaffnend. »Und hier bin ich.«
    Ich konnte nicht umhin, sie für ihre Tatkraft zu bewundern. »Und ist es hier weniger öde und leer als in Würzburg?«, fragte ich.
    »Hier wohnt und lebt ein gewisser Lukas Nufer.«
    »Äh, nun ja.« Ich wurde verlegen. Man musste schon auf beiden Augen blind sein, um nicht zu sehen, dass Thérèse in mich verliebt war. Nur leider war das umgekehrt nicht der Fall. Gewiss, sie war ein überaus hübsches junges Mädchen – mittlerweile zu einer jungen Frau herangereift –, dazu nicht dumm und aller Geldsorgen ledig, doch für mich konnte es nur eine geben: meine Prinzessin. Ich beschloss, Thérèse alles zu erzählen, was Odilie und ich nach Talackers Überfall auf unsere Kutsche erlebt hatten. Oder zumindest fast alles. »Hör zu«, sagte ich, »du sollst wissen, wie es mir ergangen ist, seitdem du und Odilie die Rollen tauschtet.«
    Ich schilderte gewissenhaft alle Begebenheiten und ging sogar so weit, ihr zu

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