Der Medicus von Heidelberg
Gesichter jeglicher Art, mal steif und bedrohlich, mal ernst und erhaben. Von alledem aber, was ich sah, stach mir die kleine Pharaonin, die eben den Saal betrat, am meisten ins Auge.
»Mach nicht so einen langen Hals«, ermahnte Thérèse mich. »Sieh dir lieber an, was die kurfürstliche Küche auf die Tische gebracht hat.«
»Ich habe es gesehen. Und ich frage mich, wer diese Mengen essen soll.« In der Tat bogen sich die Tische unter den erlesensten Speisen von Rind, Lamm und Wildschwein, unter Braten und Pasteten, unter Würsten und Schinken – Fleisch, so weit das Auge reichte, eine Orgie aus Fleisch, der die Vielfalt des Geflügels in nichts nachstand. Der Gaumen des Feinschmeckers konnte wählen zwischen Fasan und Wachtel, Kapaun, Schwan und sogar Pfau.
Fische und Suppen hingegen gab es nicht, denn nach der langen Fastenzeit stand niemandem der Sinn nach fader Kost. Stattdessen lockten die verschiedensten kandierten Früchte und feinstes Zuckerwerk – Stück für Stück so delikat angerichtet, dass einem das Wasser im Munde zusammenlief. Der Tisch der Ehrengäste wies zudem eine Besonderheit auf, die alles andere in den Schatten stellte: Er wurde gekrönt von einem ausgestopften Hirsch, dessen Geweih man komplett vergoldet hatte.
Unterdessen hatten der Faun und seine Pharaonin zwischen den Ehrengästen Platz genommen. Der Faun hob Ruhe gebietend die Hand, sämtliche Gespräche erstarben. Zum ersten Mal vernahm ich die Stimme des Weiberfreundes, und was er sagte, hatte weder Witz noch Wärme. Es war eine Aneinanderreihung von langweilen Phrasen und Selbstgefälligkeiten und dennoch: Als Gastgeber erhielt er am Ende artigen Beifall.
Auf ein Zeichen hin setzte die Musik ein. Der Klang von Schalmeien, Flöten und Fideln füllte den Saal, Trommel und Triangel gaben den Takt dazu an. Fröhliche Weisen forderten die Gäste auf, kräftig zuzugreifen. Diener mit großen, gläsernen Weinkaraffen machten die Runde und schenkten den Gästen immer wieder nach.
Es dauerte nicht lange, da wurde die Stimmung ausgelassen. »Warum isst du nicht?«, fragte Thérèse, während sie genussvoll an einem Wachtelbein knabberte und den Bissen mit Wein hinunterspülte.
»Ich habe keinen Appetit«, sagte ich und warf einen Blick zu Odilie hinüber, die ebenfalls so gut wie nichts zu sich nahm. Ein- oder zweimal hatte sie schon zu mir herübergesehen. Oder bildete ich mir das nur ein?
»Du musst etwas essen«, beharrte Thérèse. »Und wenn’s nur ist, um dich abzulenken.«
»Jaja, schon gut.«
»Schau mal, der Faun und die Pharaonin erheben sich. Ich glaube, sie wollen den Tanz eröffnen.«
Und so war es auch. Die Musikanten spielten eine langsame Pavane, zu der sich die Gastgeber Seite an Seite aufstellten. Der Faun fasste die linke Hand der Pharaonin mit seiner Rechten und führte sie mit wechselnden, würdevollen Schrittfolgen durch den Saal. Weitere Paare schlossen sich ihnen an. Thérèse fragte: »Wollen wir es auch mal wagen?«
»Lieber nicht.«
»Aber warum nicht? Willst du den ganzen Abend wie ein Trauerkloß dasitzen? Du musst auf andere Gedanken kommen.« Sie sprang auf und zog mich auf die Tanzfläche. »Mach einfach nach, was dein Vordermann macht. Die paar Schritte wirst du schon schaffen.«
Sie hatte recht. Es dauerte zwar ein wenig, aber ich, der ich niemals zuvor einen Schreittanz erlernt hatte, konnte schon bald die Schritte halbwegs ausführen. Trotzdem war ich froh, als die Musik aufhörte. Mit dem letzten Ton streckte der Faun sein rechtes Bein gerade nach vorn und verbeugte sich vor der Pharaonin.
»Das musst du auch machen«, zischte Thérèse mir zu. »Es beendet den Tanz.«
Etwas linkisch folgte ich ihrem Befehl.
In der Pause danach hatte ich Gelegenheit, zu beobachten, wie der Faun sich von der Pharaonin abwandte, um sich den Musen und Göttinnen an seinem Tisch zu widmen. Es war ganz offensichtlich, dass er den Tanz mit ihr nur absolviert hatte, um der Hofsitte zu genügen. Ansonsten schien sie ihm einerlei zu sein. Ob dieser Beleidigung ballte ich die Faust unter dem Tisch. Doch ich hatte kaum Zeit, meinen Wutgefühlen nachzugeben, denn ein als Merlin verkleideter Zauberer näherte sich mir. »Hast du, sturmgewaltiger Poseidon, etwas dagegen, wenn ich deine Artemis für einen oder zwei Tänzchen entführe?«, fragte er.
»Nein, geheimnisvoller Merlin, sofern du sie nicht allzu sehr verhext«, antwortete ich, bemüht, auf seinen scherzhaften Ton einzugehen.
Thérèse und Merlin
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