Der Medicus von Heidelberg
verschwanden, sofort in ein angeregtes Gespräch vertieft. Da mittlerweile eine Galliarde gespielt wurde, ein Springtanz, bei dem es wesentlich lebhafter zuging, verlor ich beide alsbald aus den Augen. Die Pharaonin, meine arme Odilie, saß wie ich eine Weile unbeachtet an ihrem Tisch. Doch dann wurde sie von einem römischen Centurio auf die Tanzfläche gebeten. Ich saß da und wartete. Nach zwei Tänzen brachte der Centurio Odilie zurück. An seine Stelle trat ein tanzwütiger Wikinger, der sie erst nach fünf Stücken wieder freigab.
Thérèse hatte sich die ganze Zeit nicht bei mir sehen lassen. Vielleicht war sie dem Zauber Merlins erlegen.
Dann kam Augustus, der Imperator, und forderte Odilie zum Tanz. Dann Odysseus, der Listenreiche. Dann Theoderich, der Gotenheld. Ich saß noch immer allein am Tisch und kam mir ziemlich einsam vor. Doch dann, als Theoderich Odilie zurückbrachte, fasste ich mir ein Herz, ging zu ihr hinüber und sagte: »Poseidon, der Gott der Meere, bittet um einen Tanz mit der schönen Pharaonin vom Nil.«
»Ich fürchtete schon, du kommst nicht mehr«, flüsterte Odilie mir zu, während ich bemüht war, bei der Galliarde nicht allzu lächerlich auszusehen. Ich hüpfte vom linken auf den rechten Fuß und vom rechten auf den linken Fuß, wiederholte das Ganze und schlug bei dem abschließenden fünften Schritt, der aus einem größeren, nach hinten geführten Sprung bestehen sollte, fast der Länge nach hin.
»Ich traute mich nicht«, erklärte ich, nachdem ich mich aufgerappelt hatte. »Du hast gesehen, warum.«
»Ich habe so auf dich gewartet.«
»Und ich habe mich so nach dir gesehnt.«
Ich tanzte weiter mit meiner Prinzessin, mehr schlecht als recht, und fragte voller Hoffnung: »Ist der Weiberheld schon gegangen?«
»Nein, ich glaube nicht. Irgendwo treibt er sich gewiss noch herum. Sag, wer ist deine Begleitung?«
»Es ist Thérèse.«
»Du und Thérèse? Ist da etwas …?«
»Nein, um Gottes willen, nein! Ich habe Thérèse erzählt, dass wir verheiratet sind. Sie ist eine gute Freundin und hat mir die Einladung zu diesem Ball verschafft. Das ist alles.«
»Dann ist es gut.«
»Ich bin so glücklich, dich zu sehen. Auch wenn du unter dieser Maske steckst.«
»Du hast mir so schrecklich gefehlt.«
»Du mir auch.«
Wir tanzten weiter, bis die Galliarde zu Ende war. Bevor die Musik wieder einsetzte, sagte ich: »Meine Prinzessin, ich muss etwas mit dir besprechen. Gibt es einen Ort, an dem wir ungestört sind?«
Einen Augenblick lang überlegte sie. »Komm, schnell«, flüsterte sie dann.
Wir verließen die Tanzfläche mit ihren hüpfenden Leibern. Odilie ging voran, rasch und zielstrebig. Sie führte mich in einen Nebenraum und von dort in einen weiteren, noch kleineren Raum, wo wir stehen blieben und die Masken abnahmen. Wir sahen uns an und fielen uns in die Arme, küssten uns, liebkosten uns, vergaßen die Welt um uns herum.
Eine kleine Ewigkeit verging, bis wir die Worte wiederfanden. »Wir müssen vorsichtig sein und dürfen nur ganz leise sprechen«, wisperte Odilie. »Hier haben die Wände Ohren und die Türen Augen. Was willst du mir sagen, mein Liebster?«
»Etwas, das ich mir genau überlegt habe: Was hieltest du davon, wenn du mit Milda eine deiner zahlreichen Cousinen besuchen würdest?«
Odilie schaute ungläubig. »Wozu sollte ich das tun?«
»Weil du sie schon lange nicht mehr gesehen hast. Jedenfalls wäre das die offizielle Begründung. Inoffiziell ergäbe sich die Möglichkeit, dem grässlichen Weiberfreund für eine Weile zu entrinnen – und stattdessen mich zu sehen. Denn natürlich würdest du nicht die Cousine besuchen, sondern die Zeit mit mir verbringen. Auf der Gais-Insel im Neckar. Nur du und ich.«
»Oh, das wäre wunderbar!« Odilie schloss die Augen und atmete tief ein.
»Nicht wahr?« Ich küsste sie.
»So wunderbar! Doch man würde Milda und mich nie ohne Wachen aus dem Schloss lassen. Besonders weil ich schon einmal überfallen und entführt wurde.«
»Aber war das nicht eine wunderbare Entführung?« Wieder küsste ich sie.
»Ja, das war sie. Trotzdem bleibt die Frage mit den Wachen, mein Liebster.«
»Wachen kann man bestechen.«
»Und welche Cousine soll ich besuchen?«
»Das musst du wissen. Es sollte eine sein, die nicht allzu weit entfernt lebt. Und eine, mit der du in der Vergangenheit schon öfter Kontakt hattest. Wenn vielleicht auch nur durch einen Briefwechsel.«
Odilie überlegte. »Ich fürchte, eine solche
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