Der Medicus von Heidelberg
Thérèse.
»Was denn, du willst schon gehen, Poseidon?«, lallte der Weiberfreund mit quäkender Stimme.
»So ist es«, sagte ich leichthin und versuchte, Thérèse zu übersehen. Der Widerling musste nicht unbedingt wissen, dass wir miteinander bekannt waren.
»Bleib doch noch.«
»Tut mir leid. Das Meer ruft. Wenn ich nicht höre, wird es zürnen und einen gewaltigen Sturm entfachen.«
»Soso.« Der Weiberfreund unterdrückte einen Rülpser. »Dann sieh mal zu, dass du nicht untergehst, Poseidon.« Er lachte über seinen dummen Scherz und widmete sich wieder Thérèse.
Froh, dem abstoßenden Kerl entronnen zu sein, eilte ich nach Hause in meine Wäschekammer, wo Schnapp mich schon schwanzwedelnd erwartete.
»Hier, mein Großer«, sagte ich und gab ihm das Stück Wildschweinbraten, das ich für ihn abgezweigt hatte.
Und während Schnapp das Fleisch verschlang, erzählte ich ihm wie versprochen, was ich auf dem Ball erlebt hatte.
Kapitel 17
Heidelberg,
21 . Juni bis 8 . August 1507
G ut zwei Monate waren seit meinem Besuch des Maskenballs vergangen. Jeden Tag hatte ich aufs Neue gehofft, eine Nachricht von meiner Prinzessin zu erhalten, und jeden Tag war ich aufs Neue enttäuscht worden. Es war, als hätte ich sie nie getroffen.
Irgendetwas musste passiert sein. Aber was?
Doch ich fand kaum Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn Koutenbruer hatte sich noch im April an mich gewandt mit der Bitte, ihn im Auditorium Medicum zu vertreten. »Mein lieber Nufer«, hatte er gesagt, »wie Ihr wisst, habe ich meine Wurzeln in Neuss am Rhein. Dort steht mein Elternhaus. Dort lebt meine Mutter allein, seitdem der Vater tot ist. Nun liegt sie selbst im Sterben. Ich muss zu ihr. Doch die Vorlesungen für die Studiosi müssen weitergehen. Jetzt könnt Ihr beweisen, dass Ihr das Lizenziat bei Eurer Promotion nicht umsonst bekommen habt. Bitte übernehmt die Lektionen für mich.«
Seitdem hatte ich regelmäßig Vorlesungen gehalten. Am Anfang war es ungewohnt gewesen, auf der anderen Seite des Katheders zu stehen, doch mit der Zeit gewann ich Freude daran. Ich erinnerte mich an meinen Freund de Berka in Erfurt, der an den Anfang seiner Lesungen den hippokratischen Eid mit seinen vielfältigen Blickwinkeln gestellt hatte, um danach jeden einzelnen Aspekt zu beleuchten und die Auswirkungen auf die Arbeit des Arztes darzustellen.
Genauso hatte ich es auch gemacht. Ich hatte die Auswirkungen auf die Arbeit des Arztes dargestellt und anhand von Beispielen verdeutlicht. Anders als Koutenbruer hatte ich die jungen Herren das eine oder andere Mal in das Hospital am Kornmarkt gebeten, wo ich ihnen mit Rosannas Hilfe die Arbeit des tätigen Arztes näherbrachte.
Bei allem, was ich vermittelte, hatte ich mich bemüht, das Lernen für meine Studenten leichter und erlebbarer zu machen. Wenn ich über die Uroskopie sprach, blieb ich nicht nur bei der Theorie, sondern besorgte eine gefüllte
matula,
mit deren Hilfe ich die Beschaffenheiten des Harns besprach – gerade so, wie es de Berka auch gemacht hatte.
Wenn ich über den Knochenbruch sprach, besorgte ich eine Bruchlade, um daran zu demonstrieren, wie ein Arm kunstgerecht geschient wurde.
Wenn ich über den Aderlass sprach, besorgte ich einen Schnäpper und eine Schüssel und bat einen Freiwilligen, seinen Arm zur Veranschaulichung zu entblößen.
Wenn ich über Kräuter sprach, besorgte ich sie mit Hilfe von Amandus van Ryjk, dem Apotecarius des Hospitals, und ließ sie herumgehen, damit jeder sie fühlen, riechen und schmecken konnte.
Wenn ich über Salben und Pflaster sprach, besorgte ich die Inhaltsstoffe, dazu Mörser und Pistill und mancherlei mehr, damit jedermann sie selbst einmal herstellen konnte.
Das alles hatte ich gemacht und dabei gelernt, wie erfüllend es sein kann, sein Wissen weiterzugeben.
Ich hätte glücklich sein können, wenn da nicht immer wieder die bange Frage gewesen wäre, was mit Odilie passiert sein mochte. Irgendwann konnte ich damit nicht mehr allein sein, und ich beschloss, mich Rahel anzuvertrauen.
Rahel, die den kleinen Simon gerade frisch windelte, krauste die schöne Stirn, nachdem ich ihr mein Herz ausgeschüttet hatte, und sagte: »An Odilies Treue darfst du nicht zweifeln. Es muss einen anderen Grund geben, warum du nichts von ihr hörst. Ich vermute, es liegt an dem garstigen Weiberfreund.«
»Meinst du, er verweigert ihr die Reise?«
»Ich glaube nicht, dass Odilie ihn schon um die Erlaubnis dazu gebeten hat. Ich glaube
Weitere Kostenlose Bücher