Der Medicus von Heidelberg
ein guter Freund. Und nun lass uns weiterfahren.«
»Gemach, gemach, so schnell schnattern die Gänse nicht.« Joss Fritz umrundete die Kutsche und öffnete die Tür. »Wen haben wir denn da? Einen fetten Dickarsch, der vor Geld stinkt. Und seine alte Krähe dazu. Behängt wie ein Maibaum. Welch edle Beute!« Er griff Steisser an die Brust und riss ihm mit einer einzigen Bewegung die goldene Kette vom Hals. Kaum weniger grob ging er vor, als er der hochnäsigen Ehefrau das Geschmeide abnahm. »Die Bauern, Bettler und Unterdrückten im Land werden Eure Spende zu schätzen wissen«, sagte er voller Hohn. »Habt Dank!«
Steisser und sein Weib waren zu keiner Antwort fähig. Sie zitterten vor Angst wie Espenlaub.
»Kann ich jetzt endlich weiterfahren?«, fragte Gertrud.
»Erst sagst du mir noch, ob du königliche Reiter oder Söldner gesehen hast.«
»Hab ich nicht, und ich dank dem Herrgott auf Knien dafür. Mehr als eine Begegnung wie mit dir und deinen Leuten pro Tag halt ich nicht aus.«
Joss Fritz lachte. »Hör auf zu greinen, Gertrud, das steht dir nicht. Meinetwegen fahr weiter. Aber wenn dich jemand fragt: Du hast uns nie gesehen, klar?«
»Klar«, sagte Gertrud. »Ich bin auf beiden Augen blind. Und pass auf deinen Hals auf, Joss.«
»Haha, die Schlinge, die sich darum legt, muss erst noch geknüpft werden!«
»Na dann, Gott befohlen.« Gertrud schwang die Peitsche, und der Wagen setzte sich wieder rumpelnd in Bewegung.
Nachdem wir eine Weile gefahren waren, fragte ich: »Was hat man unter dem Bundschuh zu verstehen?«
»Weißt du das wirklich nicht?«, entgegnete Gertrud.
»Ich fürchte nein.« Ich wollte hinzufügen, dass ich als Student und Promovierter an der Basler Universität in meiner eigenen Welt gelebt und mich für nichts anderes als Lehre und Disput interessiert hatte, aber ich unterließ es. Ich dachte, es würde zu hochtrabend klingen.
»Tja, was ist der Bundschuh?«, hob Gertrud an. »Das ist schlecht in Worte zu fassen. Vielleicht ist er so was wie eine Antwort auf Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Unterdrückung. Die Bauern und Tagelöhner sind’s vor allem, die unter der Knute von Adel und Kirche stöhnen. Die hohen Herren pressen das einfache Volk auf dem Land gnadenlos aus und begründen es mit Gottes Willen. Kaum einer kann den Zehnten mehr zahlen. Hunger und Elend herrschen im Land und haben nichts als Wut und Hass geboren. Drüben im Elsässischen hat’s angefangen. Gut zehn Jahre ist’s wohl her. Die geknechteten Bauern haben sich erhoben, aber der Aufstand wurde niedergeschlagen. Hunderte, vielleicht Tausende sind im Laufe der Jahre gestorben. Gewalt bringt nichts anderes als Gewalt hervor, das sag ich dir, und deshalb geht’s mit der Bundschuh-Bewegung immer weiter und weiter. Nur der Herrgott mag wissen, wie das Ganze noch endet.«
Ich schwieg, denn angesichts der Ungeheuerlichkeiten, die Gertrud beschrieb, fehlten mir die Worte.
»Vor zwei Jahren hat Joss Fritz mit den Seinen eine Schlappe bei Untergrombach einstecken müssen. Sie wollten die Steuer und die Zölle abschaffen und die freie Nutzung der Jagdgründe und Fischteiche erstreiten, sie wollten die Einkünfte der Pfarrer auf nur eine Pfründe herabsetzen und manches mehr, aber die Sache wurde verraten. Viele sind aufgeknüpft worden, andere hat man auf dem Scheiterhaufen verbrannt, und wieder andere konnten fliehen. Joss Fritz war einer, der entkommen konnte. Der ist hartnäckig, sag ich dir, der gibt niemals auf. So, nun weißt du, was es mit dem Bundschuh auf sich hat.«
»Ja, nun weiß ich es«, sagte ich. Während Gertrud erzählte, war mir ein Mann namens Johann Ullmann eingefallen, ein ehemaliger Bürgermeister, der anno 1493 in Basel als Bauernverschwörer gevierteilt worden war. Die ganze Stadt hatte noch Jahre später von dem Spektakel gesprochen. Sicher war auch Ullmann einer gewesen, der zum Bundschuh gehört hatte. »Was bedeutet eigentlich Bundschuh?«, wollte ich wissen.
»Da fragst du mich was.« Gertrud schnalzte mit der Zunge, damit Castor und Pollux zügiger ausschritten. »Ich kann dazu nur sagen, was Joss Fritz mir gesagt hat. Er ist ein kluger Bursche, kann lesen und schreiben, auch wenn er unberechenbar ist wie das Wetter im April. Also, der Joss Fritz hat gesagt, Bundschuh oder Schnürschuh, das wär einerlei, es wär jedenfalls ein Schuh, den man zubindet, und der wär so was wie ein Feldzeichen, unter dem die Bauern sich vereint hätten. Außerdem wär er so was wie ein Gegenstück zu
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