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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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entwischen. Auf geht’s nach Weil!«
    Kurz darauf waren wir unterwegs nach der Stadt an der Würm. Ritter, Landsknechte und sechs armselige Gefangene, die einer ungewissen Zukunft entgegenfuhren.
     
    Wir waren noch keine Viertelstunde gefahren, als das Gewitter uns einholte. Die Landschaft verdunkelte sich, starker Wind setzte ein, der Himmel öffnete seine Schleusen. Aus ein paar schweren Tropfen wurde rasch ein prasselnder Regen, und aus dem Regen wurden wahre Wasserkaskaden. Bald war der Weg aufgeweicht, die Rösser kamen kaum noch voran, Blitze zuckten, Donner krachten, Mensch und Tier schrien vor Angst, und das Wasser war überall. Selbst durch die Ritzen der Kutsche drangen Sturzbäche ins Innere, so dass wir in kürzester Zeit keinen trockenen Faden mehr am Leib hatten. Durch die dichten Regenschleier sah ich, wie ein Reiter sich zu uns herankämpfte. Er sprach mit unserem Kutscher, gestikulierte wild und deutete immer wieder in eine bestimmte Richtung. Dann verschwand er. Was hatte das zu bedeuten?
    Wenig später tauchte schemenhaft ein Gehöft vor uns auf. Ich erkannte Talacker und seine Männer. Sie warfen den Bauern und seine Familie vor die Tür. Die armen Menschen mussten ohne jeden Schutz das Weite suchen und konnten sich noch glücklich schätzen, nicht getötet worden zu sein.
    Allmählich begriff ich, was vor sich ging. Talacker und seine Truppe wollten im Gehöft übernachten, und uns, seinen Gefangenen, würde vermutlich nur die Scheune bleiben.
    Und so war es auch.
    Von Themar, Odilie, Steisser, seine Frau, Thérèse und mich stieß man unsanft in die angrenzende Tenne, fesselte uns die Hände auf dem Rücken und warf uns in die aufgestapelten Heuballen. Drei Wachen teilte man uns zu, Landsknechte, die ebenso nass waren wie wir und entsprechend üble Laune hatten.
    Thérèse und Abeline weinten, Steisser schluchzte vor sich hin, er war nur noch ein dickes Häufchen Elend. Von Themar und Odilie schwiegen verbissen, und ich haderte mit meinem Schicksal. Ich hatte die Verantwortung für Gertruds Kutsche übernommen und bei dieser Aufgabe kläglich versagt. Dazu kam die Ungewissheit, was aus Thérèse und mir werden würde. Wir hatten niemanden, dem unser Leben einen Batzen Geld wert gewesen wäre.
    Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn als ich die Augen wieder aufschlug, herrschte völlige Dunkelheit in der Tenne, bis auf eine trübe Funzel, in deren schwachem Licht ich die drei Wachen erblickte. Ihre Laune hatte sich gebessert, denn zwischen ihnen stand ein Fässchen Wein, das sie wahrscheinlich dem Bauern gestohlen hatten. Der Wein hatte ihnen die Zungen gelöst. Sie saßen nahezu nackt da, ihre Kleider hatten sie zum Trocknen über die Dachsparren gehängt, ihre Waffen achtlos beiseitegelegt.
    Es ging ihnen zweifellos sehr viel besser als uns. Es war kalt in der Tenne, wir froren. Wir saßen mit klappernden Zähnen da und versuchten, uns gegenseitig zu wärmen. Thérèse suchte Schutz bei mir und Schnapp, Abeline bei Steisser und Odilie bei von Themar. Jeder presste sich an jeden, doch die Kälte kroch unaufhaltsam in uns hoch. Ich suchte vergebens nach einem aufmunternden Wort, nach Trost, nach irgendeiner Ablenkung, aber mir ging es zu schlecht, als dass mir etwas hätte einfallen können.
    In meine Gedanken hinein hörte ich Schnarchen. Eine der Wachen war eingeschlafen. Der Mann lag auf dem Rücken und sägte, als wolle er Wälder fällen. »Lass ihn nur schlafen«, sagte einer der beiden anderen Männer. »Dann geht der Rest des Fässchens nur noch durch zwei.«
    »Nur noch durch zwei«, wiederholte sein Kamerad weinselig. »Nur durch zwei … durch zwei …« Dann war auch er eingeschlafen.
    Wenig später schnarchte auch der Dritte. Wir schauten uns an und dachten alle dasselbe: Wie können wir diese Situation für uns nutzen?
    »Wir sollten aus den nassen Kleidern raus«, sagte die praktisch denkende Thérèse. »Genau wie die Soldaten. Sonst holen wir uns noch den Tod.«
    »Wir sollten etwas von dem Wein trinken«, sagte der Fettwanst Steisser und leckte sich die Lippen.
    »Vor allem sollten wir uns erst einmal von unseren Fesseln befreien«, sagte ich. »Das ist die Voraussetzung für alles andere.«
    So kam es, dass ich mich auf einen hohen Heuballen setzte und Thérèse hinter meinem Rücken kniete, um mit den Zähnen den Knoten meiner Fessel aufzuziehen. Es gelang leichter, als ich dachte. Ich nahm die Hände nach vorn und bewegte die Finger, damit das Blut wieder

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