Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
zirkulierte. Dann machte ich mich daran, meine Mitgefangenen von ihren Stricken zu befreien. Auch sie reckten und streckten erleichtert die Hände. Die Welt sah ein bisschen freundlicher aus.
    »Wir sollten jetzt einen Schluck trinken«, sagte Steisser.
    Der Vorschlag wurde angenommen. Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass unsere drei Wachen weiterhin schliefen, setzten wir ihn in die Tat um. Der Wein tat uns gut. Er wärmte uns von innen.
    »Was ist mit den Kleidern?«, fragte Abeline. »Wir sollten sie ausziehen und ebenfalls zum Trocknen aufhängen.«
    »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, protestierte von Themar. »Die Schicklichkeit gebietet …«
    »Das mag sein«, unterbrach Thérèse ihn. »Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Im Übrigen wäre es besser, wenn Ihr leiser reden würdet.«
    »Ich bitte um Verzeihung.«
    »Schon gut.«
    »Wir könnten eine Wand aus Heuballen aufschichten«, sagte ich. »Die Damen würden sich auf der einen Seite ausziehen, die Herren auf der anderen.«
    »Eine Art Sichtschutz aus Heu, nicht übel«, meinte von Themar.
    Wir machten es, wie von mir angeregt, wobei wir uns immer wieder vergewisserten, dass unsere Bewacher tief und fest schliefen. So verging die Zeit. Ab und zu sah ich einen nackten Frauenarm hinter der Wand hervorkommen, nach dem Fässchen tasten, einen Becher mit Wein füllen und ihn wenig später wieder leer zurückstellen. Wir Männer machten es ebenso. Ich fragte mich, was unsere Aufpasser beim Erwachen wohl sagen würden, wenn ihr kostbares Fässchen leer wäre, aber ich schob den Gedanken beiseite. Was zählte, war die Gegenwart, der Augenblick. Und wie es aussah, würden unsere Kleider in absehbarer Zeit trocken sein.
    »Pst, Lukas!« Es war Thérèse, die von der anderen Seite zu mir sprach.
    »Was willst du?«
    »Ich hab mir überlegt, wie wir diesem Ekel Talacker eins auswischen können, und Odilie ist einverstanden.«
    »Einverstanden womit?«
    »Mit dem Kleidertausch.«
    »Wie bitte?«
    »Hör zu …« Thérèse erklärte mir, dass es eigentlich ganz leicht sei. Odilie und sie würden beim Anziehen die Kleider tauschen, und sie würde am nächsten Morgen als Geisel mit nach Weil fahren. Talacker würde überhaupt nichts merken, der hätte Odilie ja noch nie aus der Nähe gesehen. Im Übrigen hätten Odilie und sie die gleiche Figur, die gleichen blonde Haare und gleich alt wären sie auch.
    »Bist du von Sinnen? Und wenn dieser Götz von Berlichingen den Schwindel bemerkt, der scheint Odilie doch genau zu kennen«, entgegnete ich.
    »Götz von Berlichingen ist mit seinem Bruder schon unterwegs nach Heidelberg. Jedenfalls hat Talacker ihm das befohlen.«
    Das stimmte zweifellos. Dennoch war der Einfall von Thérèse so ungeheuerlich, um nicht zu sagen todesmutig, dass mir für eine Weile die Worte fehlten. Dann sagte ich: »Selbst wenn Talacker die Täuschung nicht bemerkt, spätestens in Weil wird er dahinterkommen. Und dann ist dein Leben keinen Pfifferling mehr wert.«
    »Das glaube ich nicht. Er wird zwar toben, weil ihm das Lösegeld durch die Lappen geht, aber ich bin sicher, er wird einer Frau nichts tun. Er ist trotz allem ein Ritter. Erinnerst du dich? Als Odilie halb nackt vor ihm stand, hat er gesagt, man soll seine Feinde schlagen, aber nicht erniedrigen.«
    »Das hat er gesagt. Aber ich verstehe dich trotzdem nicht.«
    »Ich wollte schon immer bei Hofe leben und mit dem Adel verkehren. So eine Möglichkeit krieg ich nie wieder.«
    Wir redeten noch eine Weile weiter, aber am Ende musste ich einsehen, dass Thérèse nicht umzustimmen war. »Und was wird aus Odilie?«, fragte ich.
    »Die geht mit dir.«
    »Mit mir?« Ich war fassungslos.
    »Es ist die beste Lösung. Von Themar wird einverstanden sein. Frag ihn mal.«
    Das tat ich, und zwischen uns entwickelte sich ein ähnlicher Disput, weil von Themar den Einfall dankbar begrüßte. Wir fochten Wort gegen Wort, hartnäckig und zäh, und am Ende sagte ich resigniert: »Ich gebe auf. Wenn alle Argumente für eine Sache sprechen, kann es kein Argument geben, das dagegenspricht.«
    »Sehr wahr.« Von Themar nickte lächelnd. »Ein guter logischer Schluss. Aristoteles wäre stolz auf Euch.«
     
    Es dauerte noch eine gute Stunde, bis unsere Kleider trocken waren und wir sie wieder anziehen konnten. Danach bat ich Thérèse, Schnapp zu nehmen, damit er in irgendeiner Ecke sein Geschäft erledige, während ich meine Mitgefangenen wieder fesseln wollte. Doch seltsamerweise sträubte

Weitere Kostenlose Bücher