Der Medicus von Saragossa
heiß, und über dem Feuer hingen noch zwei Kessel. Auf dem Tisch standen Wein, Brot, Käse und Oliven.
Er zog sich vor dem knisternden Feuer aus und warf seine feuchten und schmutzigen Kleider auf einen Haufen. Dann zwängte er sich mit einem Stück von Reynas derber brauner Seife in der Hand in den Zuber und dachte an Nuño – an seine Weisheit, seine Aufgeschlossenheit und Duldsamkeit, an die Liebe für die Menschen, die er behandelte, und seine Hingabe an die Heilkunde. An die Freundlichkeit, die er einem abgerissenen jungen Mann erwiesen hatte, der so unvermittelt bei ihm aufgetaucht war. An die glückliche Wendung, die Nuño Fierro in Jona Toledanos Leben bedeutet hatte. Lange, lange Gedanken... bis er merkte, daß das Wasser kalt wurde, und er anfing, sich zu schrubben.
4. Der einsame Medicus
A m nächsten Morgen ging er den Hügel hoch, um bei Tageslicht letzte Hand an das Grab zu legen.
Ganz in der Nähe wuchs ein Eichenschößling, der ihn daran erinnerte, daß er auf der Ruhestätte seines Vaters noch immer keinen Baum gepflanzt hatte, und so grub er ihn behutsam aus und pflanzte ihn in die weiche Erde von Nuños Grab. Es war ein sehr kleines, blattloses Bäumchen, aber in wärmerem Wetter würde es wachsen und gedeihen.
»Du mußt den Priestern Bescheid sagen«, sagte Reyna, »und der Kirche Geld geben, damit sie für seine unsterbliche Seele eine Messe lesen.«
»Zuerst will ich ihn in seinem Haus sieben Tage lang betrauern«, erwiderte Jona. »Erst dann gehen wir zu den Priestern und in die Kirche, um für ihn die Messe zu feiern.«
Reynas Frömmigkeit war oberflächlich und regte sich nur wegen der Feierlichkeit des Todes, und so zuckte sie lediglich die Achseln und sagte ihm, er solle tun, was er für richtig halte.
Er war sich bewußt, daß er den Tod seines Vaters nie den Riten entsprechend gewürdigt hatte. Nuño war wie ein Vater zu ihm gewesen, und er wollte ihm die letzte Ehre erweisen, auf die Art, die er von früher kannte. Er zerriß eins seiner Kleidungsstücke, ging schuhlos durchs Haus, verhüllte den einen kleinen Spiegel mit einem Tuch und betete jeden Morgen und jeden Abend das Kaddisch in Nuños Andenken, so wie ein Sohn es für seinen Vater tun würde.
Dreimal in dieser Woche kamen Leute zum Haus, die einen Arzt brauchten; einmal führte Jona einen Mann in das Behandlungszimmer in der Scheune und schiente ein verstauchtes Handgelenk, und zweimal ritt er aus, um Kranke in ihren Häusern zu behandeln. Außerdem besuchte er vier Patienten, von denen er wußte, daß sie seine Zuwendung brauchten, aber wenn er zurückkehrte, hielt er weiter Trauer.
Nach der Woche der Schiwa und nachdem die Seelenmesse für Nuño gelesen worden war, sah sich Jona plötzlich in einem Leben, das ihm fremd vorkam, ein Leben, in dem er sich erst zurechtfinden mußte.
Reyna wartete eine Woche, bevor sie ihn fragte, warum er noch immer auf dem Strohlager in der kleinen Vorratskammer schlafe, da er doch nun der Herr des Hauses sei. Nuños Kammer war das beste Zimmer, mit zwei Fenstern, eins nach Süden und eins nach Osten. Das Bett aus Kirschholz war groß und geräumig.
Gemeinsam gingen sie die persönliche Habe des toten Meisters durch. Nuños Kleidung war von guter Qualität, aber er war kleiner und untersetzter als Jona gewesen. Reyna wußte geschickt mit der Nadel umzugehen und versprach, einige Stücke so zu ändern, daß sie Jona paßten. »Es wird dir sicher gefallen, ab und zu etwas von ihm zu tragen und so an ihn erinnert zu werden.« Was Jona nicht brauchen konnte, nahm sie an sich, um es in ihr Dorf zu bringen, wo man jedes Kleidungsstück dankbar annehmen werde.
Als Jona in das Zimmer einzog, schlief er zum ersten Mal seit seiner Flucht aus Toledo wieder in einem Bett. Doch es dauerte noch ganze vierzehn Tage, bis er das Gefühl hatte, daß dies alles nun wirklich ihm gehörte, das Haus und das Land waren ein Teil von ihm geworden, und er schätzte das Anwesen so hoch, als wäre er dort geboren.
Eine ganze Reihe der Patienten, die er behandelte, sprachen traurig von Nuños Dahinscheiden. »Er war immer ein guter und gewissenhafter Arzt, und wir hatten ihn ins Herz geschlossen«, sagte Pascual Cabrera. Aber für Señor Cabrera und seine Frau wie für die meisten anderen Patienten – war Ramón Callicó in den Jahren seiner Ausbildung ein vertrauter Anblick geworden, und sie schienen mit ihm sehr zufrieden zu sein, und er gewöhnte sich an das ärztliche Alleinsein schneller, als er sich
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