Der Medicus von Saragossa
segelst, über die wir in glücklicheren Kindertagen nachgegrübelt haben, wird vielleicht die Zeit kommen, da Du als Mann zum Hause unserer Kindheit zurückkehrst und diesen Brief in unserem Versteck findest, auf daß Du erfahren mögest, was hier geschehen ist.
Falls Du zurückkehrst, sei um Deiner Sicherheit willen gewahr, daß eine mächtige Person, die ich nicht kenne, einen besonderen Haß gegen die Familie Toledano hegt. Den Grund dafür verstehe ich nicht. Unser Vater, möge er ruhen im ewigen Frieden der Rechtschaffenen, glaubte, unser Bruder Meir ben Helkias wurde nur umgebracht, um den Diebstahl des Reliquienkelchs zu ermöglichen, den die Abtei zur Himmelfahrt Maria in Auftrag gegeben hatte.
Der gute Freund unseres Vaters, dessen Namen ich nicht schreiben möchte für den Fall, daß dieser Brief von solchen gelesen wird, die ihm übelwollen, ist überzeugt, daß der Tod unseres Vaters in Verbindung steht mit Meirs Tod, mit dem Gold- und Silberkelch, den er angefertigt hat, und irgendwie auch mit einem Dominikanermönch mit dem Namen Bonestruca. Du mußt sehr wachsam sein. Auch ich muß sehr wachsam sein.
Hier gibt es keine Juden mehr, nur noch Alte Christen und Neue Christen. Bin ich allein in Spanien? Alles, wofür unser Vater gearbeitet hat, ist verschwunden. Allerdings gibt es noch jene, die ihre Schulden nicht bezahlt haben. Auch wenn Du zurückkehren und diese Zeilen finden solltest, dürfte es Dir schwerfallen, diese Schulden einzutreiben.
Samuel ben Sahula schuldet unserem Vater dreizehn Maravedi für drei große Sederteller, einen
Kidduschbecher und ein kleines Silberbecken für die rituellen Waschungen. Don Isaak ibn Arbet schuldet uns sechs Maravedi für einen Sederteller und zwei Maravedi für sechs kleine Silberbecher. Ich weiß nicht, wohin diese Männer gegangen sind; so der Herr will, werden sich vielleicht eines Tages Eure Wege kreuzen.
Graf Fernán Vasca von Tembleque schuldet unserer Familie neunundsechzig Real und sechzehn Maravedi für drei große Schüsseln, vier kleine Silberspiegel und zwei große Silberspiegel, eine goldene Blume mit silbernem Stiel, acht kurze Kämme für Frauenhaar und einen langen Kamm sowie ein Dutzend Kelche mit Schalen aus massivem Silber und Sockeln aus Elektrum.
Abbas Freund möchte mich zu seinem christlichen Sohn machen, aber ich muß unseres Vaters jüdisches Kind bleiben, sollte es auch mein Verderben sein. Auch wenn man mich fängt, werde ich nicht konvertieren. Falls es zum Schlimmsten kommt, dann wisse, daß ich vereinigt bin mit unserem Meir und unseren geliebten Eltern und mit ihnen zu Füßen des Allmächtigen ruhe.
Wisse aber auch, daß ich meinen Platz im Himmlischen Königreich aufs Spiel setzen würde, wenn ich nur einmal noch meinen kleinen Bruder umarmen könnte. Ach, ich würde Dir wieder ein Bruder sein! Für jede Gedankenlosigkeit, für jede Kränkung, die ich Dir durch achtlose Worte oder Taten zugefügt haben mag, bitte ich Dich, mein verschwundener und geliebter Bruder, um Verzeihung, und ich erflehe Deine Liebe in Ewigkeit. Denke an uns, Eleasar, und bete für unsere Seelen. Vergiß nicht, daß Du ein Sohn des Helkias bist, Sproß des Stammes Levi. Sag jeden Tag das Schema auf und denke daran, daß es mit Dir betet. Dein trauernder Bruder
Jona ben Helkias Toledano
»Mein Mann wird das Haus deines Vaters jetzt natürlich nicht mehr kaufen. Das Haus ist zerstört.« Stirnrunzelnd betrachtete Theresa das Papier. Sie konnte nicht lesen, aber sie erkannte die jüdischen Schriftzeichen in der ersten Zeile. »Du wirst Unglück über unser Haus bringen.«
Der Gedanke bedrückte Jona und brachte ihm wieder zu Bewußtsein, daß schon in kurzer Zeit Benito mit einem Priester und geweihtem Wasser für seine Taufe zurückkehren würde.
Erregt nahm er das Blatt und ging nach draußen.
Die Sonne ging unter, der Tag kühlte ab. Niemand hielt ihn auf, als er vom Haus der Martins fortging.
Seine Füße trugen ihn zurück zu den Ruinen, die einmal sein Zuhause gewesen waren. Hinter dem Haus sah er, wo die Erde über dem Grab seines Vaters aufgeworfen war. Merkwürdig tränenlos sagte er das Trauerkaddisch auf, und als er die Grabstelle mit einem Stein kennzeichnete, schwor er sich, falls er überleben sollte, würde er eines Tages die Überreste seines Vaters in geweihte Erde überführen.
Ihm fiel der Traum ein, den er in der Höhle gehabt hatte, und jetzt war ihm, als hätte sein Vater ihm in diesem Traum zu sagen versucht, er solle
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