Der Medicus von Saragossa
unserem Heiland ruhen.« Sie bekreuzigte sich. Ihr Bruder Enrique sei in den Dominikanerorden eingetreten, erzählte sie voller Stolz.
»Und deine Mutter?«
»Meine Mutter lebt noch. Aber geh nicht zu ihr, Jona. Sie würde dich verraten.«
Lucias Frömmigkeit jagte ihm Angst ein. »Und du wirst mich nicht verraten?«
»Damals nicht und heute nicht!« Tränen traten ihr in die Augen, dennoch starrte sie ihn wütend an.
Er sah ein, daß er sich nun losreißen mußte. »Geh mit Gott, Lucia.«
»Mit Gott, du Freund meiner Kindheit.«
Er zog seine Hand weg, doch eine letzte Frage konnte er sich nicht verkneifen. »Mein Bruder Eleasar – hast du ihn je wieder hier gesehen?«
»Nie.«
»Und du hast auch nie etwas gehört, wo er sich aufhalten könnte oder wie es ihm ergangen ist?«
Sie schüttelte den Kopf. »Kein Wort über Eleasar. Über keinen von deiner Sippe. Du bist der einzige Jude, der zurückgekehrt ist, Jona.«
Jona wußte, was er jetzt tun und wen er suchen mußte, wenn er sich vor Lavera retten wollte.
Langsam ritt er durch die Stadt. Die Mauer um das jüdische Viertel stand noch, aber die Tore waren weit geöffnet, und in allen Häusern lebten Christen. Die Kathedrale Toledos überragte alles. So viele Menschen.
Es konnte durchaus sein, daß ihn jemand hier auf der plaza mayor hinter der Kathedrale wiedererkannte, so wie Lucia es getan hatte. Bei dem Gedanken an sie wurde ihm bewußt, daß sie ihn in diesem Moment bereits verraten haben konnte. Vielleicht griffen schon jetzt die grausamen Finger der Inquisition nach ihm, wie ein Mann die Hand ausstreckt, um eine Fliege zu fangen. Auf dem Platz wimmelte es von Soldaten und Mitgliedern der Stadtwache. Jona zwang sich, langsam zu reiten, doch niemand würdigte ihn mehr als eines flüchtigen Blickes. Einem zahnlückigen Jungen versprach er eine Münze, wenn er auf sein Pferd aufpaßte.
Das Portal, durch das Jona die Kathedrale betrat, trug den Namen »Tor der Freude«. Als Junge hatte er sich gefragt, ob es das Versprechen seines Namens auch einlöste, doch jetzt empfand er keine Verzückung. Vor ihm tauchte ein Mann in zerlumpter Kleidung die Hand in ein Becken und beugte das Knie. Jona wartete, bis niemand mehr zu sehen war, und huschte dann in die Kathedrale.
Es war ein riesiger Raum mit hohem Kreuzgewölbe, gestützt von steinernen Säulen, die das Kircheninnere in fünf Schiffe unterteilten. Wegen ihrer Größe wirkte die Kathedrale fast leer, doch es befanden sich viele Menschen darin, auch viele Geistliche in schwarzen Roben, und ihre vereinten Gebete stiegen hallend in die Höhe. Jona fragte sich, ob all die Stimmen, die in Kathedralen und Kirchen in ganz Spanien zu Gott erhoben wurden, sein eigenes furchtsames Stimmchen, mit dem er zu Gott betete, übertönten.
Er brauchte lange, bis er das Hauptschiff der Kathedrale durch messen hatte, doch den Mann, den er suchte, sah er nicht. Als er, blinzelnd im hellen Licht, wieder ins Freie trat, gab er dem Jungen die versprochene Münze und fragte ihn, ob er einen Mönch mit einem Buckel auf dem Rücken kenne.
Das Grinsen des Jungen verschwand. »Ja. Das ist der, den man Bonestruca nennt.«
»Und wo kann ich ihn finden?«
»Im Haus der Dominikaner vielleicht, da gibt's genügend von denen«, antwortete der Junge achselzuckend. Schmutzige Finger schlossen sich um die Münze, und er rannte davon wie gehetzt.
Bei einem behelfsmäßigen Ausschank – drei Planken, die man über Fässer gelegt hatte – kehrte Jona ein, trank sauren Wein und beobachtete das Haus des Dominikanerordens auf der anderen Straßenseite. Nach einer Weile verließ ein Mönch das Haus und sehr viel später zwei heftig disputierende Priester.
Als Fray Lorenzo de Bonestruca schließlich auftauchte, näherte er sich dem Haus, anstatt es zu verlassen. Jona sah ihn schon von weitem und erkannte ihn sofort an seiner großen schlanken Gestalt, deren obere Hälfte leicht zur Seite verschoben war. Weil er sich bemühte, sehr aufrecht zu gehen, zog sein Buckel ihm Kopf und Schultern nach hinten.
Er betrat das Haus und blieb so lange, daß Jona den Wirt bitten mußte, ihm noch einmal Wein in seinen Becher zu schenken, den er allerdings ohne Bedauern stehenließ, als der Mönch wieder aus dem Tor trat und die Straße hinunterging. Jona folgte ihm langsam auf dem Pferd, in weitem Abstand, jedoch so, daß er ihn nicht aus den Augen verlieren konnte.
Schließlich trat Bonestruca durch die Tür einer kleinen ta berna, einer
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