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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosendorfer Herbert
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zeigte auf den Herrn, den letzten Gast. Der nickte nun zu uns herüber, erhob sich, auch wir standen auf.
    »Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle«, sagte er in altväterlicher Höflichkeit und gab dem Meister eine Karte, »und ich habe mir erlaubt, das im übrigen wenige zu übernehmen, was Sie getrunken haben. Ich habe Ihrem Gespräch zugehört. Verzeihen Sie, ich habe nicht gelauscht, es war ja nicht zu überhören. Sehr interessant, sehr amüsant. Besonders Ihre …«, er wandte sich an den Meister, »… Bemerkung über Ihre Lieblingsmusik hat mich, wenn Sie erlauben, bewegt. Wären Sie so freundlich, sich mit mir in den nächsten Tagen in Verbindung zu setzen, wenn es Ihnen nicht unangenehm ist? Ich bin noch eine Woche hier, wohne im Hotel …« (Er nannte das erste Haus der Stadt.)
    *
    Dr. Dorpat stand auf der Karte. Zwei Adressen: eine in Wien, eine in Winterthur.
    »Ein wenig«, sagte Carlone in der Madonna , »wirkte er wie einer von diesen baltischen Baronen. Als ob er ein Monokel trüge. Trug aber keins.«
    *
    Die orata war zerteilt und halb aufgegessen. Carlone legte die Gabel hin: »Erinnerst du dich an den – ist Zusammenstoß zu viel gesagt? – des Meisters mit dem Dirigenten …?« Carlone nannte einen Namen, den ich hier nicht gern wiedergebe.
    »Wie nicht!« sagte ich.
    Ob mit Hilfe des Doppelbillettes oder mittels Einschleichen durch den Kohlenkeller, sei es, wie es gewesen war, hörte der Meister ein Konzert, ein Gastdirigat eines hochberühmten Weltklassedirigenten der höheren Gebührenklasse. Unter anderem wurde Richard Strauss’ Till Eulenspiegel gegeben.
    Der Meister hatte, wie immer, die Taschen- oder Studienpartitur dabei, ausgeliehen im Institut oder in der Stadtbibliothek.
    (Das Institut hatte einen großen Fundus an Studienpartituren, und zwar aus dem Nachlaß Salomon Jadassohns, der als Stiftung an das Institut gekommen war. Es war sogar ein Fonds vorhanden, aus dem die Sammlung von Studienpartituren fortgeführt werden konnte. Am wenigsten benutzt, freilich, wurden die Partituren der Werke von Jadassohn selber. Der »tausendjährige Lehrstuhlinhaber«, es war der Vorvorgänger von Goblitz, und ich nenne auch dessen Namen nicht, er soll im Orkus des Vergessens verfaulen, ließ einen eigenen dicken Stempel anfertigen und auf alle seine Partituren drücken: JUDE .)
    Nach dem Konzert – ich war auch dort – diskutierten wir, und der Meister erregte sich dermaßen über den Dirigenten, weil der eine Generalpause nicht korrekt ausgezählt hatte, daß Carlone im Unernst vorschlug: »Geh hin und sag’s ihm«, was aber der Meister ernst nahm. Er drehte sich auf dem Absatz um, eilte zum Künstlereingang, erwischte tatsächlich den Maestro, einen an und für sich schon sowohl mißmutigen als auch hocheitlen Menschen, faßte ihn am Rockaufschlag und fuchtelte in der Partitur auf die betreffende Stelle.
    Der verblüffte Maestro blieb tatsächlich stehen, wurde allerdings noch mißmutiger. Der Meister sang aus der Partitur vor, auf die Stelle hämmernd, zählte die Achtel. Der Dirigent wurde um einen weiteren Grad mißmutiger, knurrte: »Richard Strauss selber, ich habe es gehört, hat die Stelle so dirigiert. Lassen Sie mich mit dem Quatsch«, riß sich los und ging.
    Der Meister schrie ihm nach: »Dann ist der Komponist mit seinem eigenen Werk leichtfertig umgegangen.«
    Leichtfertig. Deswegen weiß ich die Stelle genau, jene Generalpause, die der mißmutige Dirigent nicht exakt ausgezählt, zu kurz genommen hat – eine leider weitverbreitete Unsitte. Es sind die Takte 388/390 (Ziffer 26 in der Eulenburg-Partitur), und der Abschnitt trägt die Vortragsbezeichnung: leichtfertig .



»Und hier! und hier (x)! haben die Klarinetten statt auf Eins schon auf dem letzten Achtel des vorangegangenen Taktes eingesetzt. Leichtfertig!« schrie der Meister dem davoneilenden Pultgiganten nach.
    »Wem das Glück lacht, der kann auch im Stehen scheuzzen «, pflegte mein Großvater zu sagen, worauf er stets eine Rüge seitens der Großmutter bekam.
    Dem Meister lachte das Glück. »Soll ich wirklich hingehen in das Hotel zu dem Dr. Dorpat?«
    »Logo.«
    »Aber wenn er das gar nicht ernst gemeint hat?«
    »Dann ist er selber schuld.«
    »Meinst du wirklich?«
    »Und er hat es ernst gemeint, sage ich dir, sonst hätte er uns nicht die ganze Zeche bezahlt.«
    »Ich weiß nicht recht …«
    »Geh hin!«
    Der Meister ging hin. Dr. Dorpat lud ihn abends zum Essen ins beste (und teuerste) Restaurant der

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