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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosendorfer Herbert
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zog er sich in den dreißiger Jahren in den italienisch gewordenen Teil Tirols zurück und veröffentlichte nichts mehr, verbot sogar die Aufführung seiner Werke, komponierte aber weiterhin.
    Es folgte ein umfangreiches, kleingedrucktes Werkverzeichnis, in dem der Meister in aberwitzigsten Besetzungsangaben und Werktiteln schwelgte. »Es war klar, wenn man das las«, sagte Carlone in der Madonna , »daß der Meister hier nicht in erster Linie Zeilenhonorar provozierte, was er im übrigen damals schon gar nicht mehr nötig hatte, sondern daß die schiere Lust am Lügen im Spiel war. Das galt genauso für das ebenfalls kleingedruckte Literaturverzeichnis, das der Meister sorgfältig aus fiktiver und tatsächlich vorhandener Literatur zusammenstellte. Wer prüft schon nach, ob bei Ansermets ›Grundlagen der Musik im menschlichen Bewußtsein‹ ein Thremo Tofandor vorkommt oder nicht.«
    Aber, wie gesagt, mit diesem Thremo Tofandor legte der Meister eine Schlinge, in der er sich selber verfing. Irgendein nichtexistierender Barockmeister fällt niemandem auf, aber daß früher oder später jemand über etwas so Exotisches wie einen Thremo Tofandor stolpern mußte, dessen Geburtsdatum wie bei einem ganz vorzeitigen Komponisten mit einem Fragezeichen versehen war, war vorprogrammiert. Warum hatte der Meister nicht auch das exakte Geburtsdatum erfunden? Auch so eine Spinnerei von ihm. Die Perfektion des Unperfekten.
    Nicht nur der Meister , auch ich war damals von Carlone in den Kreis der Wilden Bühne gezogen worden. Die Verbindung dazu kam über Rotary zustande, denn einer der wilden Lothary-Brüder war Mitglied des Rotary Clubs, dessen zeitweiliger Präsident Monsignore Rohrdörfer war. Es war, wenn ich mich recht erinnere, der ältere der Brüder, und zwischen ihm und Rohrdörfer gab es sogar einen besonders hochrangigen Kontakt – obwohl beide Brüder evangelisch waren. Vielleicht hätte Rohrdörfer auch ihm einen Schluck aus der Birnenschnapsflasche anbieten sollen. Aber darum ging es dem guten Pfarrer gar nicht. »Es kommen alle in den Himmel«, pflegte er zu sagen, »fast alle.« Er konzedierte alles, selbst wenn man etwa zum Jupiter oder zum Manitu betete – nur dem Allah traute er nicht über den Weg. »Mit Recht«, sagte Carlone in der Madonna .
    Die besondere Verbindung zwischen Rohrdörfer und dem älteren der Lothary- oder Wilden Brüder rührte daher, daß dieser sich in seiner Zeit als Minister – obwohl, wie gesagt, evangelisch – um eine katholische Hochschule Verdienste erworben hatte und deshalb vom Papst zum Komtur des Gregoriusordens ernannt oder, besser gesagt, damit begnadet wurde. Der von Gregor XVI . gestiftete Orden ist die höchste Auszeichnung, die der Papst einem Laien verleiht. (Sofern der nicht Staatsoberhaupt ist – das bekommt, sobald es den Vatican betritt, den ganz exklusiven Piusorden übergestülpt.) Ja, begnadet, denn es gibt nur ganz wenige Nichtkatholiken, die sich des Gregoriuskreuzes rühmen dürfen.
    Lothary war geehrt und perplex und etwas verunsichert, aber Monsignore Rohrdörfer ließ seinen rotaryschen Freund nicht im Stich. Sie fuhren miteinander nach Rom. Rohrdörfer kannte sich aus, war selbstredend oft in Rom, zumal sein Duzfreund und Seminarkommilitone und zudem Jahrgangsgenosse »Sepp« (der Nachname wird hier bewußt unterschlagen) Curiencardinal geworden war.
    Sie wohnten bei den Elisabethinerinnen in der Via dell’ Olmata auf dem Esquilin, und seine Uniform ließ der neue Ordensritter bei Gamarelli anfertigen. Das heißt: Sie holten sie dort ab. Die Maße hatte Frau Lothary vorher und rechtzeitig nach Rom durchgegeben. Wie die Uniform auszusehen hat, dunkelgrüner, vorn offener Frack mit reicher Silberstickerei, Kragen und Aufschläge von gleicher Farbe mit Silberstickerei, dunkelgrüne Hosen mit Silberstreifen, Zweispitz und Degen , weiß niemand besser als Gamarelli, der päpstliche Hofschneider an der Via Santa Chiara, der auch dem Papst den weißen Zucchetto liefert.
    Das Kostspieligste war der Degen oder: wäre gewesen. Augenzwinkernd versicherte der alte Gamarelli – bei so einem Kauf bediente der Seniorchef selbst –, daß er verstehe: Man brauche heutzutage nicht mehr oft einen Degen. Er lieh dem neuen Gregoriusritter ein Exemplar für die Dauer der Audienz. Selbstredend, keine Sorge – morgen eingewickelt zurück.
    Nicht nur der Preis des Ganzen (selbst ohne Degen) beeindruckte Lothary – Rohrdörfer: »Kommen S’, einmal im Leben, und

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