Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
herumzukriechen oder in der Glut der Schmelzöfen zu kochen und im Dröhnen der Pochwerke halbtaub zu werden, nur damit der junge Herr Doktor eine Protzenhochzeit halten konnte. Damit er Wagen und Pferde und Diener zum Angeben hat. Damit er am Hof herumscharwenzeln kann. Damit er für würdig befunden werde, sich ›Geheimer Rat‹ oder ähnlichen Unsinn nennen zu können.«
»Davon verstehst du nichts, Ulrich! Von Geschäften am Hof hast du noch nie etwas verstanden!«
»Davon will ich auch gar nichts verstehen! Mich ekeln nämlich die Hofschranzen und Speichellecker an! Was die können, das ist doch nur große Reden schwingen und das sauer verdiente Geld anderer Leute ausgeben!«
Johann glotzt unseren Bruder verständnislos an.
Ulrich beugt sich über den Tisch:
»Das begreifst du wohl nicht? Dann erkläre mir doch ganz einfach, was du heute hier willst?«
»Ich wollte Mutter besuchen.«
»Ganz einfach so?«
»Aber ja!«
»Und so nebenher ein paar hundert Gulden mitnehmen? Du kommst doch nie, es sei denn, du brauchst Geld.«
»Das ist nicht wahr!« mischt sich Frau Regina wieder in das Gespräch. »Johann hat nur die Baupläne für sein neues Heim mitgebracht, um sie mir zu zeigen. Im Gegensatz zu dir hält er nämlich auf meinen Rat!«
»Was für ein neues Heim denn schon wieder?« fragt Ulrich mißtrauisch.
»Ich habe beschlossen, mir neben dem alten Stollengut in der Wiltener Gemarkung ein vernünftiges Haus zu bauen«, läßt sich Johann vernehmen.
»Und was ist mit dem alten Haus, das du erst im Januar um 1830 Gulden erworben hast?«
»Das ist viel zu alt und feucht«, wirft Frau Regina ein. »Außerdem läßt es sich schlecht heizen.«
»Und was ist mit all den anderen Häusern, die du zu Innsbruck in den letzten Monaten zusammengekauft hast? Dem riesigen Ansitz am Pickentor beim Marktgraben? Und den beiden Kästen in der Rindergasse in nächster Nachbarschaft zum Goldenen Dachl, von denen jedes größer ist als das Haus deines Vaters hier?«
»Aber du wirst dem Kind doch nicht zumuten, Ulrich, daß es in dem Schmutz, dem Lärm und dem Gestank der Stadt leben muß?« empört sich Frau Regina.
»Und wozu hat er sie dann gekauft?«
»Ein Herr seiner Stellung muß über einigen Besitz verfügen. Er hat schließlich auf seine Reputation zu halten. Und um mir davon zu erzählen, um mich um meinen Rat zu fragen, ist er den ganzen weiten Weg aus Innsbruck hierher nach Schwaz gefahren.«
»Wie rührend!« höhnt Ulrich. »Und was kostet diese neue hochherrschaftliche Hütte wieder?«
»Kaum mehr als 1200 Gulden«, murmelt Johann.
»Die du natürlich nicht hast«, stellt Ulrich trocken fest. »Und die dir deshalb deine Mutter geben soll.«
»Nun, schließlich habe ich ein Anrecht …«
»Ein Anrecht? Ein Anrecht – worauf?«
»Auf mein Erbteil.«
Ulrich schlägt mit der flachen Hand dröhnend auf den Tisch:
»Dein Erbteil? Hast du eigentlich die geringste Ahnung, wieviel du von deinem väterlichen Erbteil inzwischen verbraucht hast? Alles, mein Lieber. Alles! Und das, was du von deiner Mutter irgendwann einmal zu erwarten hast, gleich dazu. Und von dem Erbe, das Adam und mir zusteht, gleich auch noch einen kräftigen Teil! Und wenn wir nicht Tag und Nacht arbeiten und schuften würden, dann wäre dieses Haus längst verpfändet und versteigert! So sieht es aus, werter Herr! Genau so!«
Frau Regina sitzt mit geballten Händen und zusammengebissenen Zähnen da.
Maria, meine Frau, ist ängstlich geworden. Ich lege ihr unter dem Tisch beruhigend die Hand aufs Knie.
Bruder Johann ist sichtlich fassungslos. »Das – das habe ich nicht gewußt«, stottert er.
»Natürlich nicht – du bist ja schließlich Hofschranze.«
»Aber – aber ich brauche das Haus unbedingt! Meine Reputation, meine Karriere, mein Ansehen bei Hofe … Was wird der Erzherzog denken, wenn ich jetzt plötzlich doch noch vom Kauf zurücktrete? Ich muß das Geld haben! Ich muß!«
»Du bekommst es auch!« stellt Frau Regina energisch fest.
»Na gut. Ihr habt es ja nicht anders gewollt …«
Ulrich steht ganz langsam auf:
»Und jetzt hört genau zu, was ich Euch sage: Ehe dieser windige Hofschranze auch nur einen einzigen Kreuzer bekommt, verlange ich die Auszahlung meines väterlichen Erbes. Und zwar jetzt! Heute! Hier! Und sofort!«
»Aber Ulrich«, versucht unsere Stiefmutter den Aufgebrachten zu beruhigen, »Kind …«
»Ich bin nicht dein Kind!« tobt Ulrich los. »Ich war nie dein Kind, und ich verbitte mir
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