Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
diese Anrede! Du bist die zweite Frau und jetzt die Witwe meines Vaters, und als dieser habe ich dir bis zum heutigen Tage Respekt erwiesen. Aber mehr warst du für Margarethe, Adam und mich nie! Für dich waren wir ein lästiges und notwendiges Übel, ohne das du unseren Vater nicht bekommen hättest. Und als lästiges Übel hast du uns behandelt.
Mutter – das warst du nur für deine eigenen verzogenen Bälger! Also werde glücklich mit ihnen! Aber ohne mich! Ich verlasse dieses Haus! Ich gehe! Für immer! Zum Teufel mit Schwaz! Und – mit Ausnahme von Euch beiden, Adam und Maria – zum Teufel mit dieser Familie!«
Ulrich hebt den Kristallkelch vom Tisch, leert den blutroten Wein in einem langen Zug, schleudert das kostbare Glas in den Kamin, dreht sich um, stapft hinaus und donnert die Tür hinter sich zu, reißt sie einen Augenblick später wieder auf und brüllt:
»Und wenn ich Euch, Frau Regina, und Euren Bälgern alle Gerichte des Heiligen Römischen Reiches auf den Hals hetzen, wenn ich Euch das Hemd vom Leib pfänden lassen muß – das Erbe meines Vaters werde ich bekommen! Bis zum letzten, lumpigen Kreuzer!«
Dann kracht zum zweitenmal die Tür hinter meinem Bruder ins Schloß.
Meine Stiefmutter starrt mich wütend an:
»Hast du vielleicht auch noch irgendwelche Anwürfe gegen uns, Adam?«
O ja, ich hätte die Rede Ulrichs großteils Wort für Wort wiederholen mögen. Doch ich halte den Mund.
Ich denke an Maria. Mit einer hochschwangeren Frau wird ein Mann zahm, wenn er weiß, daß sie harte Worte zu fühlen bekommt, sobald er dem Haus den Rücken kehrt.
Frau Regina und Johann starren mich herausfordernd an. Aber ich beiße mir auf die Lippen. Helfe Maria aufstehen.
Draußen poltern schwere Stiefel die Treppe herunter. Dann schmettert die Haustür zu. Ulrich ist gegangen.
Wenig später eile ich die wenigen Schritte über den Platz hinüber ins Palais Fugger, hebe den bronzenen Ring des Türklopfers und lasse ihn gegen das Tor fallen.
Augenblicke später wird von einem servilen Subjekt in Livree geöffnet.
»Ihr begehrt, Herr von Dreyling?«
»Ich begehre«, äffe ich ihn nach, »die Herren Fugger zu sprechen.«
»Ich werde untertänigst nachfragen, ob die gnädigen Herren geruhen, den gnädigen Herrn zu empfangen.«
Das livrierte Subjekt wirft mir einen verächtlichen Blick zu und entschwindet. Fünf Minuten später erscheint es wieder:
»Der gnädige Herr Markus Fugger besitzt die Güte, Euch empfangen zu wollen.«
Das Kontor des Herrn Markus – genannt Marx – Fugger hat die Abmessungen eines Ballsaales, getäfelt mit kostbarsten, geschnitzten Hölzern, an den Wänden ringsum Regale voll mit Büchern, Schriftstücken und Papieren.
Nachdem die Fugger in den letzten Jahrzehnten fast alle anderen Gewerken, die Tänzel und Fieger, Hang-Langenauer, Neidhard, Hörwart, Manlich und nicht zuletzt meinen Vater, ausgebootet, ja manche sogar ruiniert hatten, haben sie neben dem Erzherzog und der Jenbachgesellschaft fast allein die Verfügungsgewalt am Berg.
Herr Marx Fugger thront mit seinem mächtigen, altmodischen Patriarchenbart, ein Blatt in jeder Hand, hinter einem übergroßen, ebenfalls von Papier überfluteten Schreibtisch.
»Nein, nein!« tönt er zu einem dürren Männlein, seinem Privatsekretär Dionysius Bachleitner, der stramm vor seinem Schreibtisch steht. »Diese Venezianer glauben wohl noch immer, ihr Sumpfloch sei der Mittelpunkt des Welthandels. Nichts da! Entweder sie bescheiden sich mit dem halben Preis, oder sie können ihren Pfeffer den Türken verkaufen.«
Herr Marx Fugger zerreißt eines der Papiere mit großartiger Geste.
»Und das hier? Oh, ein Gesuch des Kurfürsten von Köln um ein Darlehen von 100 000 Gulden … Bachleitner, prüfe Er die Kreditwürdigkeit dieses Herrn.
Ah, mein lieber Dreyling! Setzt Euch! Ich habe hier nur noch ein paar Kleinigkeiten zu regeln – der Welthandel, Ihr versteht …«
Ich verstehe nur zu gut.
Welthandel! Der läuft im Kontor seines Bruders Anton zu Augsburg. Zwar ist das Silber und Kupfer aus Tirol ein wichtiger Pfeiler dieses Handels, doch ist das Schwazer Kontor gewiß nicht zuständig für Abschlüsse mit Venedig und schon gar nicht für die Kredite an Kurfürsten.
»Nun, mein lieber, junger Dreyling, wo drückt der Schuh?« wendet er sich schließlich an mich, nachdem er den Bachleitner mit einer Anzahl volltönender Befehle weggeschickt hat.
»Zuerst einmal ein korrupter Hutmann«, beginne ich. »Karl Gerdolf. Er
Weitere Kostenlose Bücher