Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
dem kurzen Weg vom Fürstenbau zum Raber-Liegendbau kommen zwei Grubenlichter auf uns zu. Langsam. Unerbittlich.
Die Lichter gehören zwei jungen, stämmigen Truhenläufern, die eine ausgemergelte, einst wohl hochgewachsene, nun eher verschrumpelte Gestalt in ihrer Mitte mehr zu tragen als zu stützen scheinen. Die pechschwarze Kleidung verschmilzt mit der Dunkelheit des Ganges, und so ist es eigentlich nur ein kalkweißes Gesicht, das uns entgegenzuschweben scheint – ein fleischloser Totenkopf mit einer Nase wie ein gekrümmter Türkendolch, dazu haarlos bis auf ein paar weiße Fäden, die von Mundwinkeln und Kinn herabhängen, und in tief eingefallenen Augenhöhlen zwei brennende Augen: Herr Siegmund Fugger, der Alchemist, der Hexenmeister, das »Berggespenst«, wie die Knappen sagen.
»Reisländer – Dreyling. Ich wußte, daß ich Euch hier finden würde.«
Mit einer ungeduldigen Bewegung streift er die stützenden Hände seiner Begleiter ab, scheucht sie mit einer herrischen Bewegung in den Stollen zurück, kommt ein paar schlurfende Schritte näher zu uns:
»Kommt her. Die Dummköpfe brauchen nicht zu hören, was ich Euch zu sagen habe«, flüstert seine brüchige Greisenstimme. »Aber Ihr beiden, Ihr seid schließlich keine Dummköpfe.«
Klauenartige Hände packen unsere Arme:
»Ihr habt es noch nicht gefunden, das Kupfer, das Silber, das – Gold?«
»Nein, Herr Siegmund. Kupfer und Silber wohl, wenn auch von Jahr zu Jahr weniger«, antwortet der Bergmeister. »Und Gold hat es in diesem Berg noch nie gegeben.«
Das hohe Kichern des Greises wirft ein seltsames Echo von der Hallendecke zurück.
Reisländer richtet sich mit einem Ruck hoch auf. Auch ein Bergmeister widerspricht nicht so einfach dem mächtigsten und neben den Erzherzögen mittlerweile einzigen Gewerken in Schwaz.
»Herr, Gottes Speis sinkt und sinkt mit jedem Fuß, den wir in den Dolomit schlagen« beginnt Reisländer in beschwörendem Ton. »Herr, wir betreiben Raubbau! Wir gehen den erzreichen Gängen nach, aber wir treiben seit Jahren keinen Hoffnungsbau. Wir schürfen die vorhandenen Adern aus, doch wir tun nichts, um neue Adern zu finden. Wenn die edlen Gänge plötzlich erschöpft sind, stehen wir ohne jegliche Reserve an abbauwürdigen Vorkommen da. Wir benötigen sie aber, um die Schwankungen in der Ausbeute, die immer wieder vorkommen werden, wie Ihr sehr gut selber wißt, auszugleichen. Wir müssen verhindern, daß Tausende von guten Männern den Berg möglicherweise bald verlassen müssen. Und die, die wir noch halten können, werden unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten.«
»Unzumutbar?«
»Ja, Herr«, mische auch ich mich jetzt ein, und deute auf den Boden, wo sich das Wasser zwischen unseren Beinen den Wegzur Ablaufrinne im Herzog-Sigmund-Stollen bahnt.
»Nichts ist unzumutbar!« zischt Siegmund Fugger. »Wenn das Pack nicht arbeiten will – werft es hinaus. Holt andere aus Italien, aus Polen, Ungarn, Sachsen – woher Ihr wollt.«
»Herr, wozu? Um demnächst mehr und mehr taubes Gestein zu schlagen?«
»Taubes Gestein? Ihr Narren! Um unermeßliche Schätze an Kupfer, Silber und Gold zu bergen!«
»Herr, wenn wir den Bergbau am Falkenstein retten wollen, haben wir nur eine Wahl: Wir müssen zwar jetzt aus den tiefen Schächten und Stollen das Erz hereingewinnen. Aber wir müssen über den Hoffnungsbau unser Glück wieder weiter oben suchen – möglichst über dem Bergwasserspiegel – allein wegen der Kosten, die die Wasserkunst verschlingt.«
Wieder dieses unheimliche Kichern. Siegmund Fugger packt uns mit seinem Klauenhänden an den Schultern, zieht uns näher zu sich heran:
»Das da oben, das ist lachhaft, ihr Narren! Wißt ihr, wo die wahren Schätze liegen? Da unten! Unter unseren Füßen!«
Reisländer schüttelt energisch den Kopf.
»Du glaubst mir nicht, Reisländer? Und du auch nicht, junger Dreyling? Ich werde euch etwas verraten. Ein Geheimnis. Aber redet es nicht aus – die Kirche hört es nicht gern, auch wenn es wahr ist:
Wißt ihr, wie die Erde entstanden ist? Aus Feuer! Schon der Philosoph Anaximandros von Milet hat das ein halbes Jahrtausend vor Christus gewußt.
Damals, zu Beginn, war alles flüssig: das Erz, der Stein.
Und was sinkt tiefer? Die leichte oder die schwere Flüssigkeit?
Und was ist schwerer? Das Metall oder der Stein?
Und was ist am schwersten? Das Gold!
Darum, nur darum habt ihr bis jetzt das Gold noch nicht gefunden! Ihr seid noch nicht tief genug.
Schlagt auf,
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