Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
heftig aus dem Bergmeister heraus. »Wir wissen auch ohne Messung, daß es für uns und den Berg besser wäre, von dort unten die Finger zu lassen! Fordert den Berg nicht heraus!«
Die Männer schöpfen bis zur Bewußtlosigkeit. Ich höre, wie sie sich selbst anfeuern, indem sie ein Lied anstimmen.
»… Das währet Tag und Nacht;
durch die Mannschaft wird viel Erz gemacht.
Die Stollen sind gar tief erbauen,
durch harten Stein und Kämpf gehauen …
… schwere Arbeit und große Gefahr
erschrecken uns nicht um ein Haar …«
»Der Schacht ist bald trockengeschöpft, Meister«, ruft Peter Gstein, der den Kontakt zu den Männern ganz unten auf der Sohle hält.
Etwa 23 Lachter tief ist der Schacht abgeteuft. Von dort aus geht der neue Schrämmstollen mannshoch seitwärts, etwa elf Lachter in nördlicher Richtung.
»Ich bleib und schlag auf! Den halben Gulden brauch’ ich dringend – und wenn der Teufel selbst hinter dem Schiefer hockt!« erklärt Jos Ammer, der direkt vor Ort im Stollen sein Ritzeisen gerade gegen einen schweren Pocher tauscht.
»Der Teufel ist wohl immer noch liebreizender als deine Frau, Jos, wenn sie nach Geld und Brot heult?« stichelt Nandl Kunzmeier, unser Spaßvogel, der hinter Ammer zur Ablösung bereitsteht.
»Hab du doch neun Mäuler zu stopfen«, schimpft Ammer.
»Ja, ja«, feixt Kunzmeier, »kein Vergnügen ohne Preis – auch nicht das Rammeln …«
»Laß den Jos in Frieden«, dröhnt die Stimme von Adelwart Demmer, der wegen seiner Bärenkräfte höchsten Respekt unter den Knappen genießt.
»Und der Herr Fugger hat gesagt, jeder bekommt einen halben Gulden?« erkundigt sich der 17jährige Junghäuer Kunz Weidinger aufgeregt.
»Schlagen wir also auf?« vergewissert sich Jos Ammer bei seinen Hinterleuten, die in einer Schlange im Stollen stehen, Wasser schöpfen, Arbeitsgeräte tragen, Lampen halten, gaffend nach vorne sehen.
Der Schiefer glitzert vor Nässe, kleine Rinnsale triefen herab.
Jos packt den schweren Pocher fester, setzt seinen größten Keil an den Schiefer und Nandl Kunzmeier beginnt zu singen:
»Herr Fugger ist ein kluger Mann!
Hau, Jos, hau!
Bietet ’nen halben Gulden an.
Hau, Jos, hau!
Er will das Erze heut noch schaun,
Hau, Jos, hau!
Wir jetzt drum auf den Schiefer haun!«
Das ›Hau, Jos, hau!‹ singen die Männer im Schacht lautstark mit.
»Dreyling, wie weit bist du?«
»Gerade beim Ausrechnen.«
Ich bin froh, daß hier unten meine Pinmarch angebracht ist. Sobald ein Grubenfeld festgelegt wird, bringe ich meine Meßhilfspunkte an. Damit brauche ich nicht mehr vom Mundloch weg vermessen, sondern eben von dieser Pinmarch, was die Schnelligkeit und Genauigkeit fördert.
»Das Ergebnis?« fordert Reisländer ungeduldig.
»Wir dürfen den Stollen keinesfalls aufschlagen! Wir sind dort unten noch gut zwanzig Lachter vom nördlichen Schiefer entfernt. Aber die Richtung des Schiefers hängt nach Süden und verkürzt die Strecke dort unten. Da wir aber den Schiefer schon kratzen können, haben wir es zusätzlich mit einer Lettenkluft zu tun. Sie ist wasserführend. Das bedeutet für uns, wenn tatsächlich größere Mengen an Wasser dahinter sind, wirkt diese Kluft, die in den Dolomit hineinragt, wie ein Trichter, dessen Ende mit Wachs verstopft ist!«
»… und wir gehen gerade daran, den Pfropf zu lösen!« schreit Peter Gstein entsetzt.
Reisländer brüllt dem Schichtmeister zu:
»Gstein, keinesfalls aufschlagen! Wir ersaufen sonst alle! Der Schiefer führt das Wasser direkt in den Stollen. Wenn eine Kaverne dahinter sitzt … dann gnade uns Gott!«
»Bergmeister, macht Euch doch keine Sorgen. Herr Fugger übernimmt doch jede Verantwortung!« klingt die Stimme Viehbauers.
In diesem Augenblick hören wir von der Sohle herauf die ersten Schläge mit dem schweren Pocher.
Reisländer und der Bergschrat springen an den Schacht, schreien abwechselnd hinunter:
»Aufhören! Aufhören! Hört doch auf! Wir ersaufen alle und mit uns der Berg! Hört Ihr da unten? Laßt das Hauen sein!«
Die Männer, die auf den obersten Sprossen der Leitern stehen und mit verständnislosen Gesichtern heraufglotzen, brüllt der Bergmeister an:
»Los! Kommt, kommt! Schnell! Raus mit Euch!«
Die vor Nässe triefenden Knappen auf den Leitern kommen heraufgekrochen. Ihre Leiber dampfen. Sie haben ihre letzten Kraftreserven eingesetzt, um den Stollen trocken zu bekommen.
Reisländer, Gstein und ich zerren die Knappen, einen nach dem anderen, aus dem Schacht. Wir
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