Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
bei diesem Wind und bei einsetzender Flut unsere Kriegsgaleonen in den Kanal zu bekommen. Je später Fleming also eintreffen wird, um so günstiger steht es für uns.«
Drake stampft ungeduldig mit dem Fuß auf das Pflaster:
»Laßt also die Flut steigen und uns den Hügel entern!«
Der Tag nimmt ab. Das Bowls begeistert wenig, dafür beginnt die verrinnende Sanduhr, ein teuflisches Spiel aufzuziehen. Sie ist es, die hier oben gewinnt. Unweigerlich! Dagegen ist die Vorführung um den Pflock herum eine Plage für das Gemüt. Wer ist näher dran …!?
Der gezeigte Gleichmut mit Ausblick auf einen Horizont, hinter dem sich der Schrecken mehr und mehr aufbaut, wirkt bei den besten Kapitänen aufgesetzt. Manch einer wirft fahrig die Kugel, tritt vom flüchtigen Vergnügen schnell zu Seite, um den Horizont gleich wieder mit fiebrigen Augen abzutasten. Die letzte Zuflucht der Ruhe liegt scheinbar bei Howard und Drake. Ihnen gilt meine ganze Aufmerksamkeit. Wird auch ihre Maske fallen? Sie verraten ihre Gefühle nicht, noch nicht.
Der Lordadmiral, beraten von Drake, Cumberland, Hawkins, Fenner und Frobisher ließ die Galeonen in den letzten Stunden von den Kais eine halbe Meile weiter in den Sund hinein verholen, wo sie jetzt frei vor Anker liegen, bereit zu jenen Manövern, die weniger abhängig sind von Wind und Segel, sondern mehr von der Muskelkraft der Seeleute. Die letzten Befehle sind ausgeführt. Die Kontrolle gelingt auch von hier oben. Ich beobachte, wie die Beiboote ausgebracht werden, als wollten Ameisen dicke Käfer über das Wasser wegzerren. Der Lordadmiral, die Kapitäne, die Kanoniere, die Seeleute sind bereit, doch die steigende Flut und der scharfe Südwestwind machen den Hafen samt seinem Hügel zum Gefängnis.
Fenner ist gerade beim Spiel ausgeschieden und wechselt zu mir herüber. In die blendende See blinzelnd, auf die jetzt häufiger die Sonne fällt, sagt er:
»Die Flut, der Südwest … Da ist wahrhaftig nicht herauszukommen!«
Sein Kopfschütteln unterstreicht die Blockade von Tatendrang und Entschlossenheit, die uns reizbar und rasend macht.
»Das heißt, wir werden erst gegen zehn Uhr auslaufen können«, wiederhole ich die längst bekannte Situation.
»Ja, wir sitzen gründlich auf Dreck. Hoffentlich unterstützt uns eine Landbrise …«
Ein scharfer Pfiff durch die Zähne läßt mich zusammenfahren. Kapitän Martin Frobisher deutet hinaus auf die Bucht, die wie ein geriffelter Silberschild heraufglänzt.
»Das könnte die G OLDEN H IND sein!« sagt Howard mit einer ungewohnt hohen Tonlage in der Stimme.
»Meine zweite Haut. Sie ist es!« ruft Drake begeistert.
»Großartig, Lord Howard! Ganz großartig!« jubiliert Cumberland geradezu. Er tut, als sei er der Überzeugung, daß die G OLDEN H IND erneut mit unermeßlichen Schätzen an Bord Plymouth ansteuert.
Der Lordadmiral räuspert sich unentwegt. Die Maske fällt.
»Na schön, wir werden sehen! Schafft mir Fleming gleich herauf!« ergeht der Befehl an die Voluntaries William Harvey und Richard Leveson, junge adelige Freiwillige, die der Lordadmiral zu seiner persönlichen Verfügung auf der A RK R OYAL hält und die er jetzt als Läufer einsetzt.
»Ich werde mitgehen!« ruft Kapitän Frobisher und setzt sich gleichzeitig in Bewegung.
»Nein! Niemand verläßt den Hügel!« Howards Stimme hat sich wieder gefangen.
Kaum sind die Freiwilligen verschwunden, bittet uns der Lordadmiral näher zu treten:
»Dies ist wohl der richtige Augenblick, Euch, meine Herren, eine Erklärung abzugeben.«
Daraufhin herrscht Grabesstille. Wir alle hängen gespannt an seinen Lippen:
»Unabhängig davon, welche Nachrichten Kapitän Fleming bringen wird, werden wir heute nacht in zwei Geschwadern den Sund verlassen. Sollte der Südwest noch blasen, so werden die Galeonen um jeden Preis in den Kanal geschleppt. Das eine Geschwader wird von mir, am Eddystone vorbei, das andere von Vizeadmiral Drake unterhalb der Küste entlanggeführt. Die Vereinigung geschieht so schnell wie möglich.
Meine Kapitäne! Egal wo die Armada steht, egal wo sie hinsegelt und egal wo sie versuchen wird zu landen: Wir werden solange kreuzen, bis wir die Luvstellung erreicht haben. Der Vorteil des Windes ist unsere Chance. Erst dann können wir unseren Kriegsgaleonen mit ihren starken Bestückungen zur vollen Wirkung verhelfen!
Kains Stämme werden jämmerlich im Meer versinken, Abels Stämme dagegen können nicht bezwungen werden.
Gott ist auf unserer Seite. Er ist
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