Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)

lateinische Bonaventursegel am vierten Mast dienen vor allem der Manövrierfähigkeit des Schiffes.
    Ja, dieses Schiff ist vollkommen! So vollkommen wie all die anderen Schiffe, die Matthew und ich geplant, gebaut und ausgerüstet haben und die nun mit uns durch diese Nacht fliegen, die E LIZABETH B ONAVENTURE und die R E VENGE , die G OLDEN L ION , die V ICTORY , D READNOUGHT , N ONPAREIL , T IGER , B ULL , H OPE , S AMPSON und welch stolze Namen sie sonst noch alle tragen.
    Ich liebe sie, diese Schiffe! Jedes einzelne! Doch am meisten liebe ich wohl die E LIZABETH B ONAVENTURE , das erste Schiff, das meine Schlangen trug und das mein Freund Lord Cumberland nun kommandiert. Sie und die A RK R OYAL , bei deren Kiellegung ich zugegen gewesen war. Untrennbar mit ihr verbunden jene Stunden danach in London: Todesgefahr und Rettung, Flucht und Einweihung in die bestgehüteten Geheimnisse des Landes, dem Mordstahl ausgesetzt, und Aufstieg in den Kreis der wahren Wissenden, der wahren Herrschenden!
    A RK R OYAL ! Was für ein Name! ›Königliche Arche‹! Die Arche, die Herr Noah einst baute, rettete das Leben von Mensch und Tier vor der Sintflut. Unsere Arche wird Leben und Freiheit Englands vor der Flut der Invasoren retten.

    Mit dem ersten Morgengrauen beginnen sich auch die Nebelschleier aufzulösen, die letzten Wolken mit ihrem Nieselregen werden nach Osten davongetrieben. Bis in die letzte Faser gespannt starren wir nach Nordosten, wo die dunkelgraue Wand, die wir schon in der Nacht beobachtet hatten, sich langsam mehr und mehr in dunkel geteerte Schiffsrümpfe mit aufragenden Masten und geblähten Segeln auflöst: die unüberwindliche spanische Armada!
    Gestern abend hatte der Lordadmiral uns nochmals die letzten Informationen unserer Spione genannt. Doch die Zahlen über Tonnagen, über Geschütze und Mannschaften, so erschreckend gewaltig sie sein mochten, waren irgendwie unwirklich erschienen.
    Das, was nun da vor uns schwimmt, ist nicht abstrakt. Es ist bis ins Mark entsetzend konkret!
    Einhundertdreißig Schiffe, neben denen sich die Mehrzahl unserer Galeonen wie Zwerge ausnimmt. Wuchtige Rümpfe, burgartig trutzige Vor- und Achterkastelle. Himmelhoch ragende, windgeschwellte Segeltürme. Angeordnet in einem gigantischen Halbmond, der seine Flügel über eine Entfernung von sieben Meilen ausbreitet, zieht die Armada wie eine Prozession des Verderbens langsam dahin.
    »Als wolle sie dem Wind die Kraft rauben, als stöhne die See unter ihrer Last«, flüstert Lieutenant Amyas Preston neben mir.
    Und es ist nicht nur das fahle Morgenlicht, das unsere Gesichter bleich färbt. Wir mögen die besten Schiffe, die besten Geschütze haben, aber wie sollte irgendwer mit dieser gigantischen Masse geballter Bedrohung fertig werden?
    Wir würden kämpfen, gewiß! Aber wie konnten wir je hoffen, auch zu siegen?
    Und dann? Niederländische Drucker hatten die Listen der spanischen Marine- und Inquisitionsrichter in Medina Sidonias Flotte veröffentlicht. Man wollte von ganzen Schiffen voll Folterinstrumenten gehört haben, dazu Schiffsladungen von Stricken, um alle Engländer daran aufzuhängen. Auch hört man von einer weiteren Schiffsladung voll Geißeln, um die englischen Frauen auszupeitschen. Drei- bis viertausend Ammen sollen mit dabei sein, die englischen Kleinkinder zu stillen, aus denen nun Waisenkinder werden sollen. Und von Ladungen von Brandeisen war die Rede, denn alle Kinder im Alter von sieben bis zwölf Jahren würden im Gesicht gebrandmarkt werden, damit man sie für immer erkennen solle. Alle männlichen Engländer jedoch von dreizehn Jahren aufwärts würde man hängen, rädern, pfählen und verbrennen, die Mädchen und Frauen, wenn die hübsch waren, der Soldateska als Lagerhuren überlassen, den Rest als gebrandmarktes Arbeitsvieh in die Kolonien verfrachten … In der Schlacht zu fallen mag da ein durchaus gnädiges Schicksal sein – ich sehe diese Erkenntnis in den Augen vieler ringsum.
    Rabbi Silbermantel mit seinen Tarotkarten in Venedig geht mir durch den Kopf:
    »Was Ihr schaffen werdet, wird die Welt verändern – das Rad des Schicksals. Ein gewaltiger Sieg wird zur Weltherrschaft führen – das Universum. Aber Ihr habt keinen Anteil daran. Ihr werdet stürzen – der Blitzschlag –, und gewaltsam ums Leben kommen und vergessen werden – Zehn der Schwerter.«
    Prophezeiungen treffen wohl stets anders ein, anders als selbst der Prophet sie gedacht hat: England hat diesen Waffengang gewagt -