Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Fassung wiedergewinnen ließ für das, was Schritt für Schritt noch getan werden mußte. Orthmanns Dreistigkeit dagegen würde sich zur blanken Wahrheit auswachsen, wenn ihn Walsinghams Leute dort wieder befreien werden.
Nach getaner Arbeit ist es dann soweit. Ich halte es im Haus nicht mehr aus. Alles wird zu eng. Die zweite Stunde verbringe ich im Freien in der Nähe des Einganges und der Palisaden. Ich fühle mich hier draußen einfach sicherer, obwohl die Nebelnässe die Kleider bis auf die Haut durchdringt. Dafür ist mein Standort flexibel, denn er läßt mir alle Wege offen. Das Tor ist nur angelehnt. Wenn Ysabel den Weg herunterkommt, werde ich es sofort bemerken. Mein Zeitgefühl ist verlorengegangen. Rastlos wechsle ich zwischen Straße und Hof hin und her. Kurz darauf stehe ich wieder auf der Straße, die nach Mayfield hinauffuhrt. Ich bin nahe davor, mich auf den Weg zu machen, um den noch unsichtbaren Gegner dort oben zu packen und ihn auf kürzestem Wege umzubringen, als aus dem Nebel, direkt vor mir, etwas nach Luft japsend auf mich zueilt. Schnell ducke ich mich in den Graben. Eine Gestalt huscht vorbei. Sie ist es:
»Ysabel! Ich bin es. Bleib stehen …«
Mit wenigen Schritten habe ich Ysabel eingeholt. Sie kippt völlig erschöpft in meine Arme:
»Ich … ich … ich habe …«, nach Luft schnappend versucht sie mir mitzuteilen, »… Gibbes erstochen!«
»Was, du hast ihn erstochen? O Gott!«
»Wir haben jetzt … keine … Zeit für Erklärungen! Später …«
Ihr Herz pocht bis an mein Ohr, ihr Atem pfeift durch Nase und Mund. Ich trage Ysabel auf den Armen durch das Tor bis zum Hauseingang. Sanft stelle ich sie wieder auf die Beine. In der Halle brennen Kerzen. Meine Augen weiten sich. Ysabels Mantel und Hände sind völlig mit Blut verschmiert.
»Es war schrecklich, Adam«, äußert sich Ysabel etwas erholt. »Ich mußte ihn …«, fährt sie finster fort, unterbricht sich selbst und stützt sich auf meine Schulter.
Ich fasse Ysabel an der Hand und ziehe sie zur Küche hin. »Komm, ich wisch dich ab«, flüstere ich ihr zu.
»Hast du alles gepackt?«
»Ja. Es liegt alles fertig auf dem Tisch im Kaminzimmer.«
Sie nimmt mir das nasse Tuch aus der Hand. »Hol die Pferde! Wir dürfen keine Minute verlieren.«
Ich eile zum Stall, führe die Pferde direkt vor den Eingang, als Ysabel schon wartend in der Tür steht.
»Was sollen deine Aufzeichnungen? Die Pferde brauchen jedes Pfund Entlastung.«
»Denkst du Powder schafft es sonst nicht bis Rye?« frage ich zurück, während ich die Reitdecken auflege.
»Ich denke nur an eines: Wir wollen überleben!«
»Gut, sollte er müde werden, werfe ich sie weg. Einverstanden?«
Wortlos nimmt sie mein Angebot an. Ich nehme Powder am Zügel; im gleichen Moment fällt mir ein:
»Der Beacon! Nimm die Pferde und führe sie vor zum Tor.«
»Mach schnell!«
Ich laufe zurück in die Halle. Eine Kerze, am Kaminfeuer entzündet, verlischt sofort. Ich reiße die Flagge der R AINBOW von der Wand, halte sie ins Kaminfeuer und haste damit zum Eisenkorb, der auf dem Boden vor dem Mast steht, und entzünde das terpentingetränkte Werg. Trotz der Nebelnässe beginnt das Feuer, schnell seine Hitze zu entwickeln.
»Bring Powder zurück!« rufe ich zum Tor vor.
Schnell erfasse ich die Kette, hake das Ende am Sattelkopf ein und lasse Powder den schwer mit Holz beladenen Eisenkorb hochziehen. Ein gespenstisches Licht entwickelt sich in gut 20 Fuß Höhe. Kaum habe ich die Kette am Mast angeschlagen, kommt Ysabel herangeeilt. Aufgeregt erklärt sie:
»Adam, das Licht ist zu schwach! Vorn am Tor ist es durch den Nebel kaum noch auszumachen. Was machen wir? Wenn die polnischen Freunde das Signal nicht sehen können, war alles umsonst.«
Aus dem Brunnen ihres Jammers erwächst mir der Gedanke, der aus der Hölle stammen könnte.
»Ich hole die Axt!«
»Wohin läufst du?« ruft sie mir nach.
»In das Gußhaus!«
Die Geräte hängen an der Wand. Schnell habe ich die Axt in der völligen Dunkelheit ertastet. Das Geräusch weckt eine Stimme:
»Laßt mich raus …! Öffnet den Schieber, Meester, ich will hier raus …!«
Der Mantel des Grauens streift mich für einen kurzen Moment. Doch dann brülle ich zum Schwarzen Riesen hinüber:
»Orthmann! Hier ist dein Meister: Du wirst das Geheimnis der Schmelztemperatur noch heute erfahren. Freue dich darauf!«
Im Laufschritt eile ich zurück. Der Widerschein des Beacons lotst mich schnell auf den Hof. Meine
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