Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Allmorgendlich von meinen bibel- und handfesten Södermanländern innig geschmettert, singen seit einigen Tagen auch Ysabel und ich mit. Dichte Wolken, Nebel und Schneetreiben hatten in der Tat wie ein göttlicher Schirm und Schild unseren Ritt eingehüllt, vor den Augen der Menschen verborgen, die Spuren unserer Pferde oft binnen Minuten wieder verweht. Von Hamburg-Teufelsbrück hatte unser Weg zunächst durch das Herzogtum Mecklenburg über Schwerin und Neustrelitz geführt, dann durch Kurbrandenburg über Schwedt und Küstrin, die Netze aufwärts weiter nach Landsberg und Driesen, wo wir die polnische Grenze überschritten.
Mein beruhigtes Aufatmen hatte Kapten Sven Larsson schnell gedämpft:
»Polen ist ein großes, Polen ist ein auf weite Strecken leeres Land. Noch sind wir nicht in der Sicherheit Krakaus!« Doch das Glück, genauer gesagt das Wetter – oder Gott der Herr, wie meine Södermanländer unerschütterlich überzeugt sind -, blieb uns treu.
Auch am Morgen, als wir von Kattowitz zu unserer letzten Etappe nach Krakau aufbrachen, hüllte uns wieder dichtes Schneetreiben ein. Doch dann wie ein Zeichen des Himmels: Als wir die Anhöhe bei dem Dorf Rzaska erreichen, reißt die Wolkendecke auf. Blendendes Licht bricht herab, funkelt wie Milliarden Diamanten vom Schnee wider auf der weiten Ebene, die sich vor uns auftut. In weitem Schwung zieht sich im Süden die graugrüne Weichsel durch das Funkeln, und an ihrem Ufer erhebt sich wie eine Märchenstadt Krakau!
Während meine Södermanländer inbrünstig »Nu lova alla Gud« singen, läßt es sich diesmal Sven Larsson nicht nehmen, uns die wichtigsten Bauten der Stadt zu erklären:
»Der Rundbau im Norden ist die 1498 erbaute Barbakane, die das Florians-Tor beschützt, von dem aus die Straße nach Thorn und Danzig führt. Daneben seht Ihr die Dächer des Arsenals. Die drei hohen Türme in der Mitte gehören zum Rathaus und der Kirche Unserer lieben Frau am Ring, der Mariaki, wie man sie polnisch kurz nennt. Davor, das breite, hohe Gebäude, sind die Tuchhallen in der Mitte des Marktplatzes, der wichtigste Umschlagplatz für Webereien aller Art östlich von Leipzig. Weiter im Süden, die große Baustelle wird die neue Kirche St. Peter. Ausgerechnet Jesuiten hat der König erlaubt, sich dort einzunisten … Und ganz im Süden, dort auf dem hohen Hügel, das ist der Wawel, die Königsburg und der Dom von Krakau. Und dort, nahe bei St. Peter, am Fuß des Wawel, wohnt auch Euer Bruder, der ehrgestrenge Herr Ulrich Dreyling.«
»Und was ist das für eine Stadt südlich des Wawel, jenseits der Weichselbrücke?«
»Das ist keine Stadt«, knurrt unser Kapten. »Das ist Unrat und Unglauben! Kazimierz nennt man diesen Sündenpfuhl, die Stadt der Juden! Immerhin«, fährt Larsson etwas ruhiger fort, »hat man Krakau selbst von diesen Jesusmördern gereinigt, sie aus ihren schmutzigen Höhlen nahe dem Markt vertrieben und die Häuser an ehrbare Christenmenschen verkauft.«
Ich könnte noch lang still hier auf meinem Pferd sitzen und hinunterschauen auf die von trutzigen Mauern umgürtete Stadt mit dem Gewirr ihrer schneebedeckten Dächer, aus deren Kaminen dünne Rauchwölkchen in den eisblauen Himmel schweben, auf die zahllosen, grün bekupferten Türme und Türmchen der Kirchen, die träge ziehenden Wasser des Flusses, überragt vom stolzen Sitz von Gott und König – dem Wawel. Doch Sven Larsson treibt uns weiter, die Sonne des kurzen Wintertages beginnt sich dem westlichen Horizont hinter uns zu nähern.
»Ich glaube, hier könnte ich tatsächlich eine Heimat finden, ein Zuhause für immer«, bemerkt Ysabel mit freudiger Stimme.
Ich zögere etwas. »Ja, sicher … sicher …«
Eine gute halbe Stunde später traben wir durch das Westtor in die Stadt und durch die Szewska-Straße direkt auf den weiten Marktplatz mit dem mächtigen Gebäude der Tuchhallen in der Mitte. In den Bogennischen kann ich unter vielen anderen die bunt gemalten Wappen von Danzig und Lübeck, Rostock, Leipzig, Dresden, Breslau, Posen, Prag, Brünn, Wien, Lemberg, Leutschau und Neusohl ausmachen, offenbar alles Städte, mit denen man in innigen Handelsbeziehungen steht.
Durch die bunte Menschenmenge, die sich auch durch diesen kalten Wintertag von ihren Geschäften nicht abhalten läßt, drängt sich unsere Reitergruppe. Die Södermanländer bilden nun einen undurchdringlichen dichten Kordon um mich. In flottem Trab biegen wir am Südende des Platzes in die Grodzka-Straße ein und bei
Weitere Kostenlose Bücher