Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
ehemalige Nabel des Geschützgusses, die Niederlande, begehrten meinen Vater. Margarethe, die Statthalterin der Niederlande, die Schwester des Kaisers, wollte ihn unbedingt entleihen. Mit dem Hinweis, er habe viele kleine Kinder und halte es für schwierig, das gesamte Werkzeug in die Niederlande zu bringen, lehnte er das Ansinnen ab. Auch so etwas kann sich nur ein Löffler leisten!
Erst 1540 war er bereit nach Innsbruck zurückzukehren, nachdem alle seine Forderungen von Ferdinand I. erfüllt worden waren.«
»Und welche Rolle spielte bei dem Ganzen jener Sohn des alten Burgundier«, führe ich das Gespräch auf die zuvor gemachten Andeutungen zurück, »der damals in Augsburg die Gießerlehre bei deinem Vater abschließen sollte?«
»Das war nichts anderes als die geplante Einschleichung von oben her. Erzherzog Ferdinand, der 1530 zu seiner Königswahl in Augsburg feierlich Einzug hielt, muß sich beim Anblick der eleganten Augsburger Geschütze, die ihm unter dem Befehl meines Vaters Salut schössen, so geärgert haben, daß er versuchte, meinem Vater mit Hannibal eine fette Laus in den Pelz zu setzen. Die Zeit der Ausbildung war aber äußerst kurz gewesen. Mit der Behauptung, daß er fast nichts mehr zu gießen habe, lehnte er die Bitte Ferdinands ab.
Nur ein Löffler kann sich das leisten!
Mein Vater hatte Gespür bewiesen, gerade im Falle Hannibal; denn der ging wegen der besseren Bezahlung nach Italien. Wie eine Hure verkaufte er seine Kunst in Ferrara und in der Republik Lucca. Zwischendurch erschlug er in einem Wutanfall seine ungetreue Braut und mußte nach Mantua fliehen, bis der Kardinal von Trient bei Ercole II. seine Begnadigung erreichte. Sofort hurte er mit seinem Wissen in der Republik Siena und entwarf 1554, heimatlos wie er war, sogar Geschütze für den König von Frankreich.
Ein Mann namens Biringuccio, hab’ ich neulich gehört, hat gleich versucht, alles aufzuschreiben.
Das Gespür für Verrat hab’ ich von meinem Vater geerbt. Deshalb bin ich gewarnt. Was wäre denn gewesen, wenn er Hannibal gestattet hätte, an seiner Seite alles aufzuschlürfen, was die Löfflersche Gießerkunst hergibt? Ferdinand I. hatte nicht einmal das Geld gehabt, um ihn zu halten. Er müßte umgekehrt meinem Vater für seinen Instinkt Kopf, Hände und Füße geküßt haben.
Aber so ist es halt mit den Kaisern und Königen. Karl V hat vor 22 Jahren ein Geschützbuch anfertigen lassen, das von aller Welt nun abgezeichnet wird. Nur gut, daß es ein eitles Bilderbuch geworden ist. Das Ganze ist auch noch in spanischer Sprache verfaßt. Wie sie wohl den Spruch vom Scherenteufel übersetzt haben?«
Hans Christoph reißt seinen Mund weit auf, streckt sich auf seinem Stuhl und reibt sich mit beiden Händen den Anflug von Schlaf aus den Augen. Dann drängt er aufs Ende:
»Wir trinken jeder noch ein Glas, danach gehen wir zu Bett.«
»Morgen kann es in der Formerei schon lebendig werden. Ich will nichts überhören. Du solltest mir noch etwas über die Gestaltung der Löfflerrohre erzählen.«
»Nun also! Solltest du jemals das Geschützbuch vom Imperator Carolus in die Hand bekommen – vorausgesetzt, du kannst die Formen der Geschütze richtig deuten -, dann würdest du den Schlüssel zum Geheimnis mancher habsburgischer Kriegserfolge in der Hand haben. Es würde dir auffallen, daß um 1530 mein Vater für das gesamte deutsche Geschützwesen die verbindlichen Formen geschaffen hat.
Hast du noch das Gedicht meiner Kinderlein im Kopf? Nein? Also dann für dich das Ganze noch mal ein wenig einfacher:
Der große Vorteil der neuen Kanonen-Geschlechter liegt in der Reduzierung ihrer Vielfalt. Statt der acht maximilianischen Geschlechter gibt es nur noch drei Haupttypen:
Kartaune
Falkone
Falkonet
und drei Nebentypen:
Notschlange
Feldschlange
Scharfentinl
Seine und meine nach diesem Kanon aufgebaute kaiserliche Artillerie ist die neuzeitlichste und beweglichste der bekannten Welt. Die schlanken Formen kann man zwar kopieren. Aber bei den Wandstärken beginnt für die Kopisten schon das Ungewisse. Komm ich zeig dir das Wesentliche hier auf diesem Plan.«
Ich stehe mit ihm auf, und wir bewegen uns zu seinem Schreibtisch hin, auf dem ein Stapel von Plänen, Skizzen und Zeichnungen ruhen. Nach kurzem Suchen breitet er eine Zeichnung aus, auf der oben links zu lesen ist:
E NTWURF F ELDSCHLANGE ›S CHÖNE T AUBE ‹
»Schau her, Bub!«
Sein rechter Zeigefinger führt mit energischen, ungeduldig wirkenden
Weitere Kostenlose Bücher