Der Meister und Margarita
Skandal, der die Vertreibung seiner Saratower Nichte aus der Wohnung zur Folge gehabt hatte.
Es dauerte keine Sekunde, aber auch keine Minute, sondern eine Viertelminute, bis Semplejarow, nur am linken Fuß einen Pantoffel, in Unterwäsche am Telefon stand und in den Hörer lispelte:
,Ja, ich höre, ich höre .. ."
Seine Gattin, die in diesem Moment alle gemeinen Verstöße gegen die eheliche Treue, deren der Unglückliche geziehen worden war, völlig vergaß, blickte mit erschrockenem Gesicht durch die Flurtür, stieß den anderen Pantoffel in die Luft und flüsterte: "Zieh den Pantoffel an, den Pantoffel. .. Du erkältest dir den Fuß ..."
Semplejarow trat mit dem bloßen Fuß nach seiner Frau, warf ihr wilde Blicke zu und murmelte ins Telefon: ,Ja, ja, ja, gewiß ... verstehe ... ich fahre sofort los . .." Den ganzen Abend verbrachte Semplejarow in der Etage, wo die Untersuchung geführt wurde. Das Gespräch war peinlich und höchst fatal, denn er mußte alles genau erzählen, nicht nur von der schrecklichen Vorstellung und von der Rauferei in der Loge, sondern auch, und das war wirklich notwendig, von Mi-liza Andrejewna Pokobatko aus der Jelochowskaja-Straße, von der Nichte aus Saratow und von vielen andern, und das bereitete ihm unerträgliche Qualen.
Versteht sich, daß die Aussagen Semplejarows, eines intelligenten und kultivierten Menschen, eines vernünftigen und qualifizierten Zeugen der skandalösen Veranstaltung, der sowohl den geheimnisvollen maskierten Magier als auch die beiden Übeltäter, seine Assistenten, sehr plastisch beschrieb und sich auch erinnerte, daß der Name des Magiers Voland war, daß also seine Aussagen die Untersuchungen bedeutend voranbrachten. Ein Vergleich seiner Aussagen mit den Aussagen anderer, darunter einiger Damen, die durch die Vorstellung geschädigt worden waren (jener in violetter Unterwäsche, die Rimski befremdet hatte, und leider auch vieler anderer), sowie die Bekundungen des Boten Karpow, der in die Wohnung Nr. 50 in der Sadowaja geschickt worden war, führten zur Kenntnis des Ortes, wo man die Urheber aller dieser Ereignisse zu suchen hatte. Die Wohnung Nr. 50 wurde mehrmals aufgesucht, und man durchforschte sie sehr sorgfältig, klopfte auch die Wände ab und prüfte die Kaminzüge, um Geheimverstecke aufzuspüren. Alle diese Maßnahmen blieben jedoch ergebnislos, und nie wurde jemand in der Wohnung vorgefunden, obwohl hier jemand wohnen mußte. Andrerseits versicherten alle Personen, die sich so oder so mit den in Moskau eingereisten ausländischen Artisten befaßten, entschieden und kategorisch, in Moskau könne es einen Schwarzen Magier namens Voland nicht geben. Nirgendwo war er bei der Einreise registriert worden, niemandem hatte er seinen Paß oder andere Papiere, Kontrakte oder Verträge, vorgelegt, niemand hatte von ihm gehört! Der Leiter der Programmabteilung in der Schauspielkommission, Kitai-zew, schwor hoch und heilig, der verschwundene Stjopa Lichodejew habe ihm kein Programm einer Vorstellung mit einem Voland zur Bestätigung geschickt und ihm auch telefonisch nichts von der Ankunft eines Voland mitgeteilt. Ihm, Kitaizew, sei völlig unbegreiflich, wie Stjopa im Variete eine solche Veranstaltung hatte dulden können. Als man ihm sagte, Semplejarow habe mit eigenen Augen den Magier in der Vorstellung gesehen, breitete er nur die Arme aus und blickte gen Himmel. Und seinen Augen war anzusehen, daß er eine schneeweiße Weste hatte.
Dann jener Prochor Petrowitsch, Vorsitzender der Schauspielkommission . . .
Übrigens war er, kaum hatte die Miliz sein Zimmer betreten, zur überschäumenden Freude Anna Richardownas und zum größten Unmut der umsonst bemühten Miliz in seinen Anzug zurückgekehrt. Er hatte nach der Rückkehr auf seinen Arbeitsplatz, in seinen grauen gestreiften Anzug alle Entscheidungen gutgeheißen, die der Anzug während seiner kurzfristigen Abwesenheit getroffen hatte.
Dieser Prochor Petrowitsch also wußte ganz entschieden nichts von einem Voland.
Es ergab sich eine geradezu unnatürliche Geschichte: Tausende von Zuschauern, das gesamte Varietepersonal und endlich Semplejarow, ein hochgebildeter Mann, hatten diesen Magier gesehen, desgleichen seine verfluchten Assistenten, und doch gab es keine Möglichkeit, ihn aufzuspüren. Man gestatte mir die Frage: War er etwa nach seiner gräßlichen Vorstellung im Erdboden versunken, oder war er, wie einige behaupten, gar nicht nach Moskau gekommen? Neigte man der ersten Annahme zu,
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