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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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abfärbt.«
    »Zauber?« Sie sah Dean an. »So nennen Sie das also?«
    »Sie wissen, was ich meine.«
    »Nein, mir ist das alles vollkommen schleierhaft. Ich begreife nicht, wieso Frauen an solche Monster schreiben. Suchen sie etwa nach einem Abenteuer? Nach einer heißen Affäre mit einem Typen, der sie zuerst vernascht und hinterher abschlachtet? Wollen sie etwa damit ihrer trostlosen Existenz ein bisschen Farbe geben?« Sie schob ihren Stuhl zurück, stand auf und ging zu der von schlitzförmigen Fenstern durchbrochenen Wand. Dort stand sie mit fest verschränkten Armen und starrte hinaus auf einen schmalen Streifen Sonnenlicht, ein Stück blauen Himmel. Jede Aussicht, und sei sie auch noch so dürftig wie diese, war der Lektüre von Warren Hoyts Fanpost bei weitem vorzuziehen. Gewiss hatte Hoyt die Aufmerksamkeit genossen. Für ihn musste jeder Brief ein neuerlicher Beweis dafür gewesen sein, dass er immer noch Macht über Frauen hatte, dass er ihnen selbst aus dem Gefängnis heraus noch den Kopf verdrehen und sie nach Belieben manipulieren konnte. Sie in Besitz nehmen konnte.
    »Es ist reine Zeitverschwendung«, sagte sie verbittert, während sie beobachtete, wie ein Vogel an diesem Haus vorbeiflatterte, wo Menschen, nicht Singvögel, in Käfigen saßen – oder vielmehr Monster in Menschengestalt. »Er ist nicht dumm. Er wird alles vernichtet haben, was ihn mit dem Dominator in Verbindung bringen könnte. Er wird seinen neuen Partner schützen. Ganz bestimmt hätte er nichts zurückgelassen, was uns eine brauchbare Spur liefern könnte.«
    »Vielleicht nicht unmittelbar brauchbar«, sagte Dean, den sie hinter ihrem Rücken mit Papier rascheln hörte. »Aber ganz gewiss aufschlussreich.«
    »Ach ja? Meinen Sie, ich habe Lust, den ganzen Quatsch zu lesen, den diese verrückten Weiber ihm geschrieben haben? Allein bei dem Gedanken wird mir schon übel.«
    »Könnte das nicht der Sinn der Sache sein?«
    Sie fuhr herum und starrte ihn an. Ein Streifen des Lichts, das durch eines der Schlitzfenster hereinfiel, zog sich senkrecht über sein Gesicht und ließ ein strahlend blaues Auge aufleuchten. Sie hatte seine Züge von Anfang an bemerkenswert gefunden, aber noch nie so sehr wie jetzt, da sie ihn über den Tisch hinweg ansah. »Was meinen Sie damit?«
    »Es bringt Sie aus der Fassung, seine Fanpost zu lesen.«
    »Es macht mich fuchsteufelswild; das ist ja wohl kaum zu übersehen.«
    »Auch für ihn nicht.« Dean deutete mit dem Kopf auf den Stapel Briefe. »Er wusste, dass es Sie aus der Fassung bringen würde.«
    »Sie glauben, dass das alles nur den Zweck hat, mich verrückt zu machen? Diese ganzen Briefe?«
    »Es ist ein psychologisches Spielchen, Jane. Er hat das hier eigens für Sie zurückgelassen. Diese hübsche Sammlung von Briefen seiner glühendsten Verehrerinnen. Er wusste, dass Sie irgendwann hier auftauchen würden, um zu lesen, was sie ihm zu sagen hatten. Vielleicht wollte er Ihnen nur demonstrieren, dass er tatsächlich Verehrerinnen hat. Dass es Frauen gibt, die ihn nicht verachten, so wie Sie es tun, sondern sich im Gegenteil zu ihm hingezogen fühlen. Er ist wie ein verschmähter Liebhaber, der Sie eifersüchtig zu machen versucht. Der Sie aus dem Gleichgewicht bringen will.«
    »Hören Sie auf mit dieser Gehirnwäsche!«
    »Und es funktioniert, nicht wahr? Schauen Sie sich doch an. Er hat Sie so auf die Palme gebracht, dass Sie gar nicht mehr still sitzen können. Er weiß, wie er Sie manipulieren kann, wie er in Ihren Gedanken herumpfuschen kann.«
    »Sie überschätzen ihn.«
    »Wirklich?«
    Sie deutete mit einer fahrigen Handbewegung auf die Briefe. »Das soll er alles nur meinetwegen inszeniert haben? Bin ich denn der Mittelpunkt seines Universums?«
    »Ist er nicht der Mittelpunkt Ihres Universums?«
    Sie starrte ihn an; unfähig, irgendetwas zu erwidern, weil ihr mit einem Schlag die unwiderlegbare Wahrheit dessen, was er gesagt hatte, aufgegangen war. Warren Hoyt war der Mittelpunkt ihres Universums. Er war die finstere Macht, die über ihre Albträume herrschte, und er dominierte auch ihre wachen Stunden – stets bereit, sie aus dem Verborgenen anzuspringen, sich wieder in ihre Gedanken zu drängen. In jenem Keller hatte er sie als sein Eigentum gebrandmarkt, so, wie jedes Opfer vom Täter gebrandmarkt wird, und sie konnte die Male nicht mehr auslöschen, die seinen Besitzanspruch markierten. Sie waren in ihre Hände eingeritzt, eingebrannt in ihre Seele.
    Der nächste Umschlag war mit

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