Der Meister
Erwähnung von Conways Namen ruckartig den Kopf hob.
Oxton zögerte. »Unmöglich wäre es nicht. Aber so etwas hat strenge Sanktionen zur …«
»Es ist also schon vorgekommen.«
Er nickte widerstrebend. »Es hat mehrere Fälle gegeben. Unter dem Deckmantel offizieller Korrespondenz sind verbotene Informationen an Gefangene übermittelt worden. Wir versuchen das zu unterbinden, aber gelegentlich kommt es vor, dass uns etwas entgeht.«
»Und was ist mit dem Postausgang? Den Briefen, die Hoyt verschickt hat? Haben Sie die überprüft?«
»Nein.«
»Keinen einzigen?«
»Wir hatten keine Veranlassung dazu. Er galt zu keinem Zeitpunkt als Problemfall. Er war stets sehr kooperativ. Ausgesprochen ruhig und höflich.«
»Ein Musterhäftling«, sagte Rizzoli. »Na wunderbar.«
Oxton fixierte sie mit eisigem Blick. »Wir haben hier Männer, die Ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken, die Arme ausreißen würden, Detective. Männer, die einem Wachmann das Genick brechen würden, nur weil ihnen das Essen nicht passt. Ein Häftling wie Hoyt rangierte da nicht sehr hoch auf unserer Prioritätenliste.«
Dean lenkte das Gespräch ganz sachlich auf das eigentliche Thema zurück. »Wir wissen also nicht, wem er geschrieben haben könnte?«
Seine nüchterne Frage schien den Zorn des Gefängnisdirektors zu dämpfen. Oxton ließ von Rizzoli ab und wandte sich Dean zu – mit einem Gespräch von Mann zu Mann hatte er weniger Probleme. »Nein, das wissen wir nicht«, sagte er.
»Hoyt hätte an weiß Gott wen schreiben können.«
In einem Besprechungsraum unweit von Oxtons Büro zogen Rizzoli und Dean Latexhandschuhe an und breiteten die an Warren Hoyt adressierten Briefe auf dem Tisch aus. Sie sah ein buntes Sortiment von Umschlägen, diverse Pastellfarben und Blumenmuster. Ein Umschlag trug die Aufschrift Jesus der Erlöser, doch der Gipfel der Absurdität war wohl derjenige mit den spielenden Kätzchen. Ja, das war genau das richtige Papier für einen Brief an den Chirurgen. Darüber hatte er sich gewiss köstlich amüsiert.
Sie öffnete den Umschlag mit den Kätzchen und fand das Foto einer lächelnden Frau, die hoffnungsfroh in die Kamera blickte. Der beiliegende Brief war in einer mädchenhaften Handschrift abgefasst, mit i-Punkten in Form kecker kleiner Kreise.
An Mr. Warren Hoyt,
Häftling Massachusetts Correctional Institute
Sehr geehrter Mr. Hoyt, ich habe Sie heute im Fernsehen gesehen; Sie wurden unter Bewachung in den Gerichtssaal geführt. Auf meine Menschenkenntnis bilde ich mir einiges ein, und als ich in Ihr Gesicht blickte, sah ich darin sehr viel Traurigkeit und Schmerz. O ja, so unendlich viel Schmerz! Auch in Ihnen steckt etwas Gutes; das weiß ich genau. Wenn Sie doch nur einen Menschen hätten, der Ihnen hilft, es in Ihrem Herzen zu finden …
Rizzoli merkte plötzlich, wie sich ihre Hand, die den Brief hielt, vor Wut verkrampfte. Sie hätte die törichte Frau, die diese Zeilen geschrieben hatte, am liebsten an den Schultern gepackt und geschüttelt, sie gezwungen, sich die Autopsiefotos von Hoyts Opfern anzusehen und in den Akten der Gerichtsmedizin die Schilderungen der Qualen zu lesen, die diese Frauen erlitten hatten, bevor der Tod sie gnädig erlöst hatte. Sie musste sich zwingen, auch noch den Rest des Briefes zu lesen, einen schwülstigen Appell an Hoyts Menschlichkeit und das »Gute in uns allen«.
Sie griff nach dem nächsten Brief. Diesmal keine niedlichen Kätzchen, nur ein schlichter weißer Umschlag, der einen auf liniiertem Papier geschriebenen Brief enthielt. Auch hier hatte die Verfasserin ihr Foto beigelegt, einen überbelichteten Schnappschuss einer schielenden Wasserstoffblondine.
Lieber Mr. Hoit, könnte ich bitte ein Autogram von ihnen haben? Ich habe schon viele Unterschriften von Leuten wie sie gesammelt.
Ich habe sogar die von Jeffry Dahmer. Vieleicht hätten sie ja Lust, mir öfter zu schreiben, das würde ich echt cool finden.
Ihre Freundin Gloria
Entgeistert starrte Rizzoli den Brief an. Wer so etwas zu Papier brachte, konnte doch nicht richtig im Kopf sein. Das würde ich echt cool finden. Ihre Freundin Gloria. »Meine Güte«, sagte sie. »Diese Leute sind doch vollkommen durchgeknallt.«
»Es ist die Verlockung des Ruhmes«, sagte Dean. »Sie haben kein eigenes Leben. Sie kommen sich wertlos vor, namenlos. Also versuchen sie sich an jemanden heranzumachen, der einen Namen hat. Sie wünschen sich, dass der Zauber auch auf sie selbst
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