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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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dass Warren Hoyt hier gewesen war. Und dennoch war da dieses merkwürdige Kribbeln auf ihrer Kopfhaut. Er war nicht mehr hier, aber irgendetwas von ihm war immer noch präsent. Wenn es möglich war, dass bloße Niedertracht in einem Raum Spuren hinterließ, dann war diese Zelle sicherlich kontaminiert.
    »Sie können reingehen, wenn Sie wollen«, sagte Curtis.
    Sie betrat die Zelle. Dort erblickte sie drei kahle Wände, eine Pritsche mit Matratze, ein Waschbecken und eine Toilette. Ein steriler, funktionaler Würfel. Das würde Warren Hoyt gefallen haben. Er war ein ordentlicher, penibler Mensch, und die keimfreie Umgebung eines medizinischen Labors war seine Welt gewesen; eine Welt, in der die Blutröhrchen, mit denen er täglich arbeitete, die einzigen Farbtupfer waren. Er musste sich nicht mit grellen Bildern umgeben – die Bilder in seinem Kopf waren grausig genug.
    »Die Zelle ist noch nicht neu belegt worden?«, fragte Dean.
    »Noch nicht, Sir.«
    »Und es ist noch kein anderer Gefangener hier drin gewesen, seit Hoyt weg ist?«
    »Richtig.«
    Rizzoli ging zur Pritsche und hob eine Ecke der Matratze an. Dean nahm das andere Ende, und gemeinsam hoben sie sie an und sahen darunter nach. Sie fanden nichts. Nachdem sie die Matratze ganz umgedreht hatten, suchten sie den Überzug nach Löchern ab, nach irgendwelchen Stellen, an denen er einen eingeschmuggelten Gegenstand versteckt haben könnte. Sie fanden nur einen kleinen Riss an der Seite, vielleicht zwei Zentimeter lang. Rizzoli steckte den Finger in die Öffnung, konnte aber nichts finden.
    Sie richtete sich wieder auf und sah sich in der Zelle um. Sie sah, was er jeden Tag gesehen hatte, und sie stellte sich vor, wie er auf der Matratze gelegen hatte, den Blick zur Decke gerichtet, und seine Tagträume gesponnen hatte, die jeden normalen Menschen zutiefst entsetzt hätten. Doch in Hoyt hatten diese Fantasien nur Lustgefühle geweckt. Schwitzend hatte er auf der Matratze gelegen, erregt durch die Schreie der Frauen, die in seinem Kopf hallten.
    Sie wandte sich zu Officer Curtis um. »Wo sind seine Sachen? Persönliche Gegenstände, Korrespondenz und so weiter?«
    »Im Büro des Direktors. Da gehen wir als Nächstes hin.«
     
    »Ich habe die persönlichen Gegenstände des Häftlings gleich nach Ihrem Anruf heute Morgen heraufbringen lassen, damit Sie sie in Augenschein nehmen können«, sagte Superintendent Oxton und deutete auf einen großen Pappkarton, der auf seinem Schreibtisch stand. »Wir haben schon alles durchgesehen und keinerlei eingeschmuggelte Gegenstände finden können.« Er betonte diesen letzten Punkt, als ob ihn das von aller Verantwortung für das Geschehene freisprechen könnte. Oxton wirkte auf Rizzoli wie ein Mann, der keine Regelverstöße duldete, der die Vorschriften mit aller Härte durchsetzte. Einer, der unfehlbar alle Versuche, verbotene Gegenstände einzuschmuggeln, aufdeckte und bestrafte, der Unruhestifter sofort isolierte und darauf bestand, dass der abendliche Zapfenstreich pünktlich eingehalten wurde. Sie musste sich nur in seinem Büro umsehen, wo das grimmig-entschlossene Gesicht des jungen Oxton in Army-Uniform von Fotos herabblickte, um zu erkennen, dass dies das Reich eines Mannes war, der stets alles unter Kontrolle haben musste. Aber allen seinen Anstrengungen zum Trotz war nun ein Gefangener entkommen, und Oxton fühlte sich in die Defensive gedrängt. Er hatte sie mit einem steifen Händedruck begrüßt, und sein Lächeln hatte nicht bis zu den kalt und distanziert blickenden blauen Augen gereicht.
    Er öffnete den Karton und nahm einen großen verschließbaren Plastikbeutel heraus, den er Rizzoli reichte. »Die Toilettenartikel des Gefangenen«, erklärte er. »Nur das Übliche.«
    Rizzoli sah eine Zahnbürste, einen Kamm, einen Waschlappen und Seife. Eine Flasche Intensiv-Pflegelotion. Sie legte den Beutel rasch aus der Hand, angewidert von der Vorstellung, dass Hoyt diese Dinge für seine tägliche Körperpflege benutzt hatte. In den Zähnen des Kamms waren noch hellbraune Haare zu erkennen.
    Oxton entnahm dem Karton noch weitere Gegenstände und legte sie auf den Tisch. Unterwäsche. Ein Stapel National Geographic -Zeitschriften und mehrere Ausgaben des Boston Globe. Zwei Snickers-Riegel, ein Block gelbes Notizpapier, weiße Umschläge und drei Plastik-Kugelschreiber.
    »Und seine Korrespondenz«, sagte Oxton und legte einen Plastikbeutel mit einem Bündel Briefe auf den Tisch.
    »Wir sind seine gesamte Post

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