Der Meister
Bestandsaufnahme fort. »Zwei linke Rippen fehlen, ebenso wie …«, er wühlte mit dem Finger in dem Haufen kleiner Handknochen herum, »… drei Handwurzelknochen und die meisten Fingerglieder der linken Hand. Ich würde sagen, da hat irgendein Aasfresser sich mit einem Leckerbissen aus dem Staub gemacht.«
»Fingerfood sozusagen«, meinte Korsak.
Niemand lachte.
»Die langen Knochen sind alle vorhanden. Ebenso die Wirbel …« Er zögerte und musterte stirnrunzelnd die Halsknochen. »Das Zungenbein fehlt.«
»Wir konnten es nicht finden«, sagte Isles.
»Haben Sie gesiebt?«
»Ja. Ich bin selbst noch einmal an den Fundort zurückgekehrt, um danach zu suchen.«
»Dann ist es vielleicht von Aasfressern verschleppt worden«, meinte Dr. Pepe. Er hob ein Schulterblatt auf. »Sehen Sie diese V-förmigen Vertiefungen hier? Die stammen von den Reißzähnen von Hunden und anderen Räubern.« Er blickte auf. »Wurde der Kopf getrennt vom Rumpf gefunden?«
Rizzoli antwortete: »Er lag ein paar Schritte vom restlichen Körper entfernt.«
Pepe nickte. »Typisch für Hunde. Für sie ist ein Kopf wie ein großer Ball. Ein Spielzeug. Sie rollen ihn hin und her, aber sie können nicht richtig hineinbeißen wie in einen Arm, ein Bein oder einen Hals.«
»Moment mal«, sagte Korsak. »Reden wir hier von Fifi und Bello?«
»Alle Kaniden, ob wild oder domestiziert, verhalten sich in ähnlicher Weise. Kojoten und Wölfe spielen genauso gerne mit Bällen wie Fifi und Bello. Da diese Leiche in einem Park gefunden wurde, der von Wohngebieten umgeben ist, werden mit ziemlicher Sicherheit auch Haushunde dieses Waldstück durchstreift haben. Wie alle Kaniden werden sie instinktiv von Aas angezogen. Sie benagen alle Stellen eines Kadavers oder einer Leiche, die sie mit ihrem Maul umfassen können – die Ränder des Kreuzbeins, die Wirbelfortsätze, die Rippen oder auch den Darmbeinkamm. Und natürlich reißen sie alle noch verbliebenen Fleischreste herunter.«
Korsaks Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Meine Frau hat einen kleinen Highland-Terrier. Das war aber das allerletzte Mal, dass ich mir von dem das Gesicht hab ablecken lassen.«
Pepe griff nach dem Schädel und warf Isles einen schelmischen Blick zu. »So, jetzt werde ich Sie mal in den Schwitzkasten nehmen. Was sagen Sie hierzu?«
»In den Schwitzkasten? « , fragte Korsak.
»So haben wir es an der Uni genannt«, erklärte Isles.
»Wenn man jemanden in den Schwitzkasten nimmt, testet man sein Wissen. Man stellt ihn auf die Probe.«
»Etwas, was Sie mit Ihren Pathologie-Studenten an der U. C. sicher gerne gemacht haben«, sagte Pepe.
»Und zwar gnadenlos«, gab Isles zu. »Die sind schon ganz klein geworden, wenn ich nur in ihre Richtung geschaut habe. Dann wussten sie, dass jetzt eine knifflige Frage kommt.«
»Und nun habe ich die Gelegenheit, Sie in den Schwitzkasten zu nehmen«, sagte er mit einem Anflug von Schadenfreude. »Erzählen Sie uns etwas über dieses Individuum.«
Sie betrachtete die Überreste auf dem Tisch. »Die Schneidezähne, die Form des Gaumens und die Schädellänge weisen auf Zugehörigkeit zur kaukasischen oder weißen Rasse hin. Der Schädel ist ziemlich klein, mit kaum ausgeprägten Überaugenwülsten. Dann ist das Becken zu beachten – die Form des Eingangs, der Schambeinwinkel. Es handelt sich um eine weiße Frau.«
»Und das Alter?«
»Da hätten wir den unvollständigen Epiphysenschluss am Darmbeinkamm. Und keine arthritischen Veränderungen an der Wirbelsäule. Eine junge Erwachsene.«
»Ich stimme Ihnen zu.« Dr. Pepe nahm den Unterkiefer zur Hand. »Drei Goldkronen«, stellte er fest. »Und mehrere Amalgamfüllungen. Haben Sie Röntgenaufnahmen gemacht?«
»Yoshima hat sie heute Morgen gemacht. Sie hängen am Lichtkasten«, antwortete Isles.
Pepe ging hinüber, um sich die Aufnahmen anzusehen.
»Sie hatte zwei Wurzelbehandlungen.« Er deutete auf die Röntgenbilder des Unterkiefers. »Sieht mir nach Guttapercha-Füllungen aus. Und sehen Sie sich das an. Erkennen Sie, dass die Wurzeln von 7 bis 10 und von 22 bis 27 sehr kurz und stumpf sind? Es hat eine kieferorthopädische Korrektur stattgefunden.«
»Das war mir nicht aufgefallen.«
Pepe lächelte. »Ich bin froh, dass ich Ihnen doch noch etwas beibringen kann, Dr. Isles. Sie haben mir schon das Gefühl gegeben, dass ich hier vollkommen überflüssig bin.«
Agent Dean sagte: »Wir haben es also mit einer Person zu tun, die sich umfangreiche Zahnbehandlungen leisten
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