Der Meister
hier?
»Okay«, meinte er. »Wir haben darüber gesprochen. Sie haben zugehört. Das genügt mir.«
»Mir auch.« Sie stand auf.
»Aber ich werde Sie beobachten, Rizzoli.«
Sie nickte ihm zu. »Tun Sie das nicht immer?«
»Ich habe ein paar sehr interessante Fasern gefunden«, sagte Erin Volchko. »Sie wurden mit Klebeband von Gail Yeagers Haut abgenommen.«
»Noch mehr dunkelblaue Teppichfasern?«, fragte Rizzoli.
»Nein. Um ehrlich zu sein, ich bin mir selbst nicht sicher, worum es sich handelt.«
Es kam nicht oft vor, dass Erin zugab, vor einem Rätsel zu stehen. Und das genügte schon, um Rizzolis Interesse an dem Objekt zu wecken, das die Laborwissenschaftlerin nun unters Mikroskop schob. Durch das Okular erblickte sie eine einzelne dunkle Faser.
»Was wir da sehen, ist eine Synthetikfaser, deren Farbton ich als Olivgrün einstufen würde. Die Refraktionsindizes verraten uns, dass es sich dabei um unsere alte Bekannte, die Dupont-Nylonfaser Typ 6.6, handelt.«
»Genau wie die blauen Teppichfasern.«
»Ja. Nylon 6.6 wird wegen seiner hohen Reißfestigkeit und Elastizität sehr viel verwendet. Sie werden diese Fasern in einer ganzen Reihe von Stoffen finden.«
»Sie sagten, die Faser sei auf Gail Yeagers Haut gefunden worden?«
»Ja, solche Fasern klebten an ihren Hüften, ihren Brüsten und an einer Schulter.«
Rizzoli runzelte die Stirn. »Eine Decke? Irgendetwas, worin ihre Leiche eingewickelt war?«
»Ja, aber keine Decke. Nylon wäre für eine solche Verwendung nicht geeignet, da es kaum Feuchtigkeit absorbiert. Außerdem sind diese Fäden hier aus extrem feinen 30-Denier-Filamenten gefertigt, zehn pro Faden. Und der Faden selbst ist feiner als ein Menschenhaar. Diese Art von Faser ergibt ein sehr dichtes Gewebe. Vielleicht ein wetterfestes Material.«
»Ein Zelt? Eine Plane?«
»Möglich. Das ist die Art von Stoff, die man zum Einwickeln einer Leiche verwenden würde.«
Vor Rizzolis geistigem Auge stieg die bizarre Vision von verpackten Planen im Regal eines Baumarkts auf, mit den Verwendungsempfehlungen des Herstellers auf dem Etikett: Ideal für Camping und Garten sowie zum Einwickeln von Leichen.
»Wenn es sich um eine einfache Plane handelt, dann haben wir es ja mit einem ziemlichen Allerweltsstoff zu tun«, sagte Rizzoli.
»Ich bitte Sie, Detective. Würde ich Sie eigens herbestellen, um Ihnen irgendeine Allerweltsfaser zu zeigen?«
»Es ist also keine?«
»Es ist etwas viel Interessanteres.«
»Aber was ist denn so interessant an einer Nylonplane?«
Erin griff nach einer Mappe und nahm ein computergeneriertes Kurvenbild heraus, mit einer gezackten Linie, die an eine zerklüftete Bergkette erinnerte. »Ich habe eine ATR-Analyse für diese Fasern durchgeführt, und das ist dabei herausgekommen.«
»ATR?«
»Das steht für Attenuated Total Reflection. Dabei werden die einzelnen Fasern per Infrarot-Mikrospektroskopie analysiert. Man richtet das Infrarotlicht auf das Objekt und liest die Spektren des reflektierten Lichts ab. Diese Kurve zeigt die Infrarot-Eigenschaften der Faser selbst. Sie bestätigt einfach nur, dass es sich um Nylon 6.6 handelt, wie ich Ihnen bereits sagte.«
»Das ist ja keine Überraschung.«
»Noch nicht«, sagte Erin mit einem verschmitzten Lächeln. Sie nahm ein zweites Kurvenbild aus der Mappe und legte es neben das erste. »Hier sehen wir eine IR-Kurve derselben Faser. Fällt Ihnen irgendetwas auf?«
Rizzolis Blick wanderte hin und her. »Sie sind verschieden.«
»Ja, richtig.«
»Aber wenn sie von derselben Faser sind, müssten die Kurven doch identisch sein.«
»Für diese zweite Kurve habe ich die Bildebene verändert. Diese ATR ist die Reflexion von der Oberfläche der Faser, nicht von ihrem Kern.«
»Die Oberfläche und der Kern unterscheiden sich also?«
»Richtig.«
»Zwei verschiedene Fasern, die miteinander verflochten sind?«
»Nein, es ist nur eine einzige Faser. Aber der Stoff ist oberflächenbehandelt. Das ist es, was die zweite ATR zeigt – die Chemikalien an der Oberfläche. Ich habe das Ding in den Chromatographen gesteckt, und es scheint sich um ein Material auf Silikonbasis zu handeln. Nach dem Weben und Färben ist der fertige Stoff mit einem Silikonüberzug versehen worden.«
»Zu welchem Zweck?«
»Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht, um ihn wasserdicht zu machen? Oder reißfest? Es muss jedenfalls ein kostspieliges Verfahren sein. Ich denke, dieses Material ist für einen ganz bestimmten Zweck gefertigt. Ich weiß
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