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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Sie begriff, was hinter dieser Frage stand: die Vermutung, dass eben nicht alles in Ordnung war. Dass man sie nicht aus den Augen lassen durfte – eine psychisch labile Polizistin, die jeden Moment völlig zusammenbrechen konnte.
    »Mir geht es blendend«, sagte sie.
    »Sie sind nach der Autopsie so schnell verschwunden. Wir hatten gar keine Gelegenheit, uns zu unterhalten.«
    »Worüber?«
    »Über Warren Hoyt.«
    »Was wollen Sie über ihn wissen?«
    »Alles.«
    »Ich fürchte, das würde bis morgen früh dauern. Und ich bin müde.« Sie hüllte sich fester in ihren Bademantel; seine Gegenwart machte sie plötzlich verlegen. Es war ihr immer wichtig gewesen, ein professionelles Erscheinungsbild abzugeben, und sie zog normalerweise einen Blazer über, bevor sie zu einem Einsatzort fuhr. Doch jetzt stand sie nur mit einem Bademantel und ihrer Unterwäsche bekleidet vor Dean, und dieses Gefühl der Schutzlosigkeit gefiel ihr ganz und gar nicht.
    Sie griff nach dem Türknauf – eine eindeutige Geste, die ihm signalisierte: Dieses Gespräch ist beendet.
    Er blieb unbeirrt in der Tür stehen. »Hören Sie, ich gebe ja zu, dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich hätte von Anfang an auf Sie hören sollen. Sie haben es als Erste erkannt. Ich habe die Parallelen zu Hoyt einfach nicht gesehen.«
    »Das liegt daran, dass Sie ihn nie kennen gelernt haben.«
    »Also erzählen Sie mir von ihm. Wir müssen zusammenarbeiten, Jane.«
    Ihr Lachen war hart und scharf wie Glasscherben. »Jetzt sind Sie also plötzlich an Teamwork interessiert? Das ist ja etwas ganz Neues.«
    Schließlich musste sie sich mit dem Gedanken anfreunden, dass er nicht vorhatte, zu gehen, und so drehte sie sich um und ging ins Wohnzimmer. Er folgte ihr und schloss die Tür hinter sich.
    »Erzählen Sie mir von Hoyt.«
    »Sie können seine Akte lesen.«
    »Das habe ich bereits getan.«
    »Dann haben Sie alles, was Sie brauchen.«
    »Nicht alles.«
    Sie wandte sich zu ihm um. »Was fehlt denn noch?«
    »Ich will alles wissen, was Sie wissen.« Er trat näher, und sofort spürte sie, wie die Panik in ihr aufwallte, weil sie ihm gegenüber so eindeutig im Nachteil war – barfuß und viel zu erschöpft, um sich gegen seinen Überfall zur Wehr zu setzen. Und es kam ihr tatsächlich vor wie ein Überfall – die Forderungen, mit denen er sie bedrängte, die Blicke, die durch ihre spärliche Bekleidung zu dringen schienen.
    »Es gibt da eine Art emotionale Beziehung zwischen Ihnen beiden«, sagte er. »Eine Bindung.«
    »Eine Bindung? Reden Sie keinen Unsinn.«
    »Wie würden Sie es denn nennen?«
    »Er ist der Täter. Ich bin diejenige, die ihn zur Strecke gebracht hat. So einfach ist das.«
    »Nicht ganz so einfach, wenn es stimmt, was ich darüber gehört habe. Ob Sie es zugeben wollen oder nicht, es gibt diese Verbindung zwischen ihm und Ihnen. Er hat sich mit voller Absicht wieder in Ihr Leben eingemischt. Das Grab, auf dem Karenna Ghents Leiche abgelegt wurde, war nicht zufällig ausgewählt.«
    Sie erwiderte nichts. In diesem Punkt konnte sie ihm nicht widersprechen.
    »Er ist ein Jäger, genau wie Sie«, sagte Dean. »Sie jagen beide Menschen. Das ist es, was Sie verbindet. Das ist Ihre Gemeinsamkeit.«
    »Es gibt keine Gemeinsamkeiten.«
    »Aber Sie verstehen einander. Ganz gleich, wie Sie darüber denken, Sie haben einen Draht zu ihm. Sie haben früher als alle anderen seinen Einfluss auf den Dominator erkannt. Sie waren uns meilenweit voraus.«
    »Und Sie dachten, ich brauche einen Psychiater.«
    »Ja. Bis vor kurzem habe ich das geglaubt.«
    »Und jetzt bin ich also plötzlich nicht mehr verrückt. Sondern ein Genie.«
    »Sie können sich am besten in ihn hineinversetzen. Sie können uns helfen, herauszufinden, was er als Nächstes tun wird. Was will er?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Sie haben intimere Kenntnisse von ihm als jeder andere im Ermittlungsteam.«
    »Intim? So nennen Sie das also? Dieses Schwein hätte mich fast umgebracht! «
    »Und es gibt nichts Intimeres als Mord. Ist es nicht so?«
    Sie hasste ihn in diesem Moment, denn er hatte eine Wahrheit ausgesprochen, vor der sie am liebsten den Kopf in den Sand gesteckt hätte. Er hatte genau den Punkt angesprochen, den einzugestehen sie nicht ertragen konnte: die Tatsache, dass sie und Warren Hoyt für immer aneinander gebunden waren. Dass Angst und Abscheu mächtigere Gefühle sind, als es Liebe je sein kann.
    Sie sank auf das Sofa nieder. Früher

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