Der Memory Code
gespannt auf ihre Antwort wartete.
“Nicht weit. Dafür reichte die Zeit nicht aus. Wir hatten die Grabkammer ja gerade erst gefunden. Außerdem widmen wir uns solchen Details erst, wenn ein Grabungsprojekt abgeschlossen ist.”
“Könnten Sie auch ohne die echten Steine an den Übersetzungen arbeiten? Bloß anhand der Fotos etwa?”
Was setzte er ihr so zu? Am liebsten hätte Josh sich eingemischt und Malachai gebeten, Gabriella in Ruhe zu lassen. Ja, er hätte sie gern in den Arm genommen, um ihr ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln. Er verlangte zu viel, und stets Dinge, die ihm verwehrt waren: Gabriella, den Schatz, einen Beweis für das, was mit ihm selber geschah.
“Könnte ich schon. Nur: Wozu? Das bringt doch jetzt nichts mehr.”
“Oh doch! Unsere Stiftung hat sich fest vorgenommen, die Memory Stones zu finden. Vermutlich bedeuten sie uns genauso viel wie Ihnen. Und wenn wir sie sichergestellt haben, müssen wir herausfinden, wie man sie benutzt.”
Jetzt war Gabriella konsterniert. “Ja, glauben Sie denn, sie haben magische Kräfte?”
“In den Anfangsjahren des Phoenix Klubs war mein Ur-Ur-Großonkel überzeugt, dass sie nicht bloße Legende waren, sondern dass ihnen Kräfte innewohnten, mit denen sich Erinnerungen an ein vorheriges Leben auslösen lassen. Ich weiß zwar nicht, ob ich das glauben soll, aber ich kann ein Geheimnis lüften. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Unterlagen, die Ihnen der Pater damals gab, irgendetwas mit den Forschungen und Bemühungen meines Ur-Ur-Urgroßonkels zu tun haben.”
“Wie das?”
Malachai beschrieb die Gruppe reicher Industrieller, Künstler und Schriftsteller, die im späten 19. Jahrhundert in Rom einen Archäologen finanziert hatten, der glaubte, einen Schlüssel zum Verbleib des Schatzes gefunden zu haben.
“Wie hieß dieser Archäologe?”
“Wallace Neely.”
Gabriella nickte energisch. “Ihm gehörte das Grundstück, auf dem das Grab gefunden wurde. Rudolfo hat die Verhandlungen mit den Erben geführt. Neely war ein sehr vielversprechender Altertumsforscher. Er konnte zahlreiche Erfolge vorweisen, starb allerdings im Alter von nur dreiunddreißig Jahren unter tragischen Umständen.”
“Wissen Sie Näheres über seinen Tod?”, fragte Josh.
“Er wurde umgebracht. In Rom. Einige Tage, nachdem er verlauten ließ, er habe einen einzigartigen Fund gemacht.” Kaum hatte sie das gesagt, bemerkte sie die Übereinstimmung der Ereignisse.
“Ermordet?”, hakte Josh bestürzt nach.
Jetzt war die Bestürzung an ihr. “Das war mir noch gar nicht aufgefallen … Die Geschichte wiederholt sich!” Ihre Stimme war nur mehr ein Flüstern.
“Hast du das gewusst?” Josh wandte sich an Malachai.
“Einiges schon, aber richtig zusammenreimen konnte ich es mir auch nicht. Bis jetzt.”
“Wissen Sie denn, Gabriella, welche Entdeckung er gemacht hatte?”, fragte Josh.
“Das weiß der Himmel. Für Rudolfo und mich stand aber fest, dass er seine Funde dokumentiert haben musste. Nur sind die Unterlagen leider seit Langem verschollen.”
“Vielleicht hat man auch ihn wegen seiner Entdeckungen umgebracht”, vermutete Josh. “Wenn der Mord von jetzt und von damals …”
Malachai unterbrach ihn. “Vergiss nicht, der erste Anschein trügt oft.” Er langte an Joshs Ohr und zog einen Silberdollar hervor.
Gabriella guckte verdutzt.
“Ist sein Hobby”, erklärte Josh. “Die Zauberkunst.”
“Das ist nicht bloß ein Hobby”, korrigierte Malachai. “Sie macht einem vielmehr das Leben leichter.” Er lachte. “Die Zauberkunst”, fügte er hinzu, indem er Joshs Worte genau wiederholte.
Nach dem Essen verabschiedete sich Malachai vor dem Lokal, und Josh fuhr Gabriella nach Hause. Es regnete nicht mehr, aber es tropfte noch von den Bäumen, und die Fahrbahn glänzte im Scheinwerferlicht. Nachdem er vor dem herrlichen, in einer stillen Allee stehenden Haus im Tudor-Stil angehalten hatte, stieg er aus und begleitete Gabriella zur Haustür.
“Das ist aber nicht nötig, dass Sie …”
Er ließ sie nicht ausreden. “Doch. Ich möchte mich vergewissern, dass Sie wohlbehalten drinnen sind, ehe ich wegfahre.”
“Lieb von Ihnen, dass Sie so besorgt um mich sind.”
Josh vernahm ihre Worte, als wäre er unter Wasser, als hörte er sie mit Verspätung. Den Blick unverwandt auf Gabriella gerichtet, versuchte er, in ihren Augen zu lesen. Er war sicher, dass all dies in der Wirklichkeit höchstens Sekunden in Anspruch nahm. Aber Josh war,
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