Der Memory Code
mal wieder lachen könnte!”
Ihr Lachen klang noch besser als ihre Ironie. Es hallte in seinem Inneren wider und ließ ihn erkennen, dass er es seit ihrer ersten Begegnung förmlich herbeigesehnt hatte. Es verstärkte zwar seine Freude darüber, dass er ihr die Anspannung ein wenig genommen hatte und sie in ruhigeres Fahrwasser führte, doch er hielt es für besser, nicht über solche Dinge zu grübeln. Für einen Mann, der sich nicht binden, sondern zunächst selber die Antworten auf sehr schwierige Fragen finden wollte, waren es gefährliche Gedankenspiele.
“Mein Vater glaubt immer noch, ich bin siebzehn”, bemerkte sie.
“Stimmt. Genau so hat er mich angeguckt.”
“Wirklich?”
“Allerdings.”
“Oh, das tut mir leid!”
“Von wegen!”
“Im Grunde war’s einfacher, als ich siebzehn war. Da haben meine Kavaliere nämlich noch damit gerechnet, dass er sie so mustert.”
Es entging Josh keineswegs, dass sie ihn auf unterschwellige Weise mit ihren “Kavalieren” gleichsetzte, und dass ihn das glücklich machte, war ihm selber unerklärlich.
Inzwischen hatte er vor einer Ampel gestoppt. Der rötliche Schimmer ließ Gabriellas Züge wärmer erscheinen und zauberte feurige Lichtreflexe in ihr langes Haar. Sie bemerkte seinen Blick. Ihre Augen waren von einem hellen, herrlichen Goldton, die Farbe von Herbstlaub. Der Regen prasselte auf die Frontscheibe. Ein stetiges, einlullendes Trommeln. Und wenn du jetzt einfach mit ihr weiterfährst?, dachte Josh. Zurück nach Manhattan? Zu deiner Wohnung? Du könntest uns beiden einen Drink kredenzen und eine CD von John Coltrane auflegen. Du könntest ihr sagen, dass du dich sehr gern in die Kategorie ihrer
Kavaliere
aufnehmen lässt, und dass du gut verstehen kannst, dass ihr Vater die Männer, die an seiner Tochter interessiert sind, so argwöhnisch anguckt.
Nein! Lass das. Du bist nicht frei. Nicht wirklich frei. Du bist mit einem Fluch behaftet.
Aus den Augenwinkeln konnte er ihre linke Hand auf ihrem Schoß sehen. Am liebsten hätte er hingefasst, ihre Haut gefühlt und das Relief ihres Handrückens erkundet, um auszuloten, ob seine Gefühle einseitig waren oder ob Gabriella ähnlich empfand.
Du darfst sie nicht berühren! Niemanden! Erst musst du entschlüsseln, warum Gegenwart und Vergangenheit aufeinanderprallen.
Das Lokal lag in der Chapel Street und befand sich in einem alten, im viktorianischen Stil errichteten Gebäude, das man gründlich renoviert hatte bis hin zu den Stuckleisten und Fußbodenfliesen. Das Wetter hielt offenbar so manchen Gast fern, sodass Joshua und Gabriella den kleinsten der vier Speiseräume für sich allein hatten. In der verbleibenden Stunde bis zu Malachais Kommen unterhielten sie sich darüber, wie ihr Leben vor den Ereignissen in Rom verlaufen war – ganz so, als hätten sie sich stillschweigend darauf geeinigt, jedes für beide heikle Thema zu vermeiden und die Zeit zu genießen, die sie ungestört zu zweit beisammensitzen konnten.
Joshua bestellte sich einen Scotch, Gabriella einen Vodka Lemon. Ihre Haut glühte im weichen Schein der Tischleuchte, ihr Haar reflektierte das Licht. Josh musste sich mühsam zurückhalten, denn beinahe hätte er die Hand ausgestreckt und ihr Haar berührt. Es machte ihm Spaß, ihr Gesicht zu betrachten, wenn sie redete, und das Spiel von Licht und Schatten auf ihren energischen Zügen zu verfolgen. Besonders gefiel ihm, wie sie beim Lächeln den linken Mundwinkel ein kleines bisschen höherzog als den rechten, und einige Male, wenn er den Blick abwandte und dann wieder zu ihr hinsah, ertappte er sie dabei, wie sie ihn unverwandt anguckte, und zwar auf eine durchaus nicht unangenehme Weise.
Als Malachai eintraf, hielt sich Joshs Begeisterung in Grenzen. Er beobachtete Gabriella, um zu sehen, ob es ihr ähnlich ging, doch ihre Miene blieb unergründlich. Man tauschte Nettigkeiten aus, und nachdem er sich einen Campari Soda bestellt hatte, erkundigte sich Malachai bei Gabriella nach den Einbrüchen in Rom und ihrem Büro in Yale. War etwas entwendet worden? Hatte die Polizei schon Hinweise?
Joshua bemerkte, wie das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand und ihre Körpersprache sich änderte. Sie sah aus, als sei sie von Malachai soeben mit roher Gewalt wieder in die jüngste Vergangenheit zurückversetzt worden.
Sie begann ihren Bericht mit der Schilderung ihres letzten Abends in Rom. Professor Rudolfo war gerade im Krankenhaus verstorben, so ihre Darstellung, und als sie spät
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