Der Memory Code
abends nach Hause kam, stellte sie fest, dass eine Fensterscheibe zerschlagen war und man ihre Akten durchwühlt hatte. “Eins von meinen Notizbüchern war weg, mitsamt den handgezeichneten Skizzen vom Grab, und außerdem ein Stapel Fotos, die ich von der Mumie gemacht hatte. Ich habe keine Ahnung, was ein Einbrecher damit anfangen will. Wäre der Raub in der Grabung nicht passiert und der Professor nicht angeschossen worden, dann hätte ich es ja noch nachvollziehen können. Aber die Steine waren ja schon geklaut. Deshalb leuchtete mir die ganze Sache nicht ein.”
“Und da beschlossen Sie abzureisen?”, fragte Josh. “Ganz plötzlich? Wieso haben Sie uns denn nicht informiert? Wir hätten doch gemeinsam fliegen können.”
“Ach, ich habe in der ganzen Aufregung wohl die Nerven verloren. Ich bin schließlich alleinerziehende Mutter. Ich konnte nicht riskieren, zu bleiben, schon aus Sicherheitsgründen und meiner Tochter wegen. Also rief ich am Flughafen an und buchte gleich die erste Maschine am folgenden Tag. Anschließend habe ich meine Sachen gepackt und bin für die Nacht in ein Hotel gezogen. Natürlich, ich hätte Sie anrufen können, aber ich hatte einfach andere Sachen im Kopf. Die ganze Grabung war mir von Anfang an nicht geheuer. Es gibt zwar immer diese Horrorgeschichten, dass antike Gräber mit einem Fluch behaftet sind, aber in diesem Fall könnte es erstmals tatsächlich zutreffen.”
“Von Anfang an nicht geheuer?”, fragte Malachai. “Was wollen Sie damit sagen?”
“Bei der Grabung selbst habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, aber wie ich die Stelle gefunden habe, das war schon sehr seltsam.”
“Was denn – Sie haben die Grabesstätte gefunden? Ich dachte immer, das sei Professor Rudolfo gewesen”, wandte Malachai ein.
“Nein, das war ich. Ich glaube überdies, die Umstände haben etwas mit dem Raub der Memory Stones und dem tödlichen Schuss auf Rudolfo zu tun. Mit den Einbrüchen in meine Wohnung vorige Woche und in mein Büro am Samstag auch.”
Während des Dinners erzählte Gabriella den beiden Männern die ganze Geschichte, angefangen von jenem Wintertag, als sie in der Kapelle von Yale von dem Pater angesprochen worden war. Als sie die ersten beiden Ausgrabungen beschrieb, fielen Müdigkeit und Angst von ihr ab, so sehr nahm die Begeisterung jener ersten Tage in Rom sie immer noch gefangen.
“Bei beiden Grabungen wurde nichts gefunden?”, vermutete Josh.
“So ist es. Sie führten in eine Sackgasse.”
“Also haben Sie sich die dritte vorgenommen?” Ganz auf Gabriella fixiert, richtete Malachai sich kerzengerade auf und nahm jene leicht steife Haltung ein, die typisch für ihn war.
“Ja …” Ihre Stimme verlor sich.
“Und bei der haben Sie die Vestalin und die Edelsteine gefunden?”
“Richtig.”
“Wollen Sie wieder hin?”
“Nach Rom?”
“Um die Arbeit an Bellas Grab zu vollenden?”
Josh wollte ihn schon korrigieren. Es war ja Sabinas Grab. Aber er ließ es durchgehen.
“Weiß ich noch nicht. Zuerst müsste ich ja einen neuen Kollegen auftreiben, jetzt, da …” In ihren Augen lag wieder der traurige Ausdruck, und nun wirkte sie auch wieder erschöpft. “Außerdem würde ich diesmal meine Tochter mitnehmen.”
“Ist das denn ein Problem?”
“Momentan schon. Wegen Bettina.”
“Bettina?”, echote Malachai.
“Sie hilft mir bei der Kinderbetreuung.”
“Und jetzt will sie nicht mehr?”, wollte Josh wissen.
“Bettina ist Nachwuchsschauspielerin. Wenn Quinn im nächsten Herbst in den Kindergarten kommt, möchte sie sich ein Engagement suchen und die Kleine nur noch halbtags betreuen. Das würde sie wohl auch nicht aufschieben, um mit mir und Quinn für ein halbes Jahr nach Rom zu gehen. Ich wiederum möchte meine Tochter nicht aus ihrer gewohnten Umgebung reißen, ohne dass sie jemanden um sich hat, dem sie vertraut. Von daher muss ich erst die Betreuung von Quinn regeln, ehe ich mich mit dem Gedanken an eine erneute Italienreise beschäftigen kann.”
Malachai neigte sich vor. “Sie müssen wieder hin! Unbedingt! Ihr Schicksal ist mit dem von Bella verknüpft. Und mit den Steinen.”
Sie winkte resigniert ab. “Die Steine? Ich glaube nicht, dass ich die jemals wiedersehe.”
“Wie weit sind Sie denn mit der Klärung ihrer Herkunft gekommen? Und mit der Übersetzung der Hieroglyphen?” Malachai führte sein Glas zum Mund, und Josh fiel auf, wie er selbst beim Trinken Gabriella nicht aus den Augen ließ, sondern
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