Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
Vom Netzwerk:
Uhr morgens erfolgt, wodurch ihm viel zu wenig Zeit für eine eingehende Beobachtung blieb.
    Anfangs war er schon drauf und dran gewesen, sich zu beschweren und dem Anrufer zu erklären, das sei ja wohl keine Art, einen Auftrag zu erteilen. Aber dazu war das Honorar zu verlockend. Da konnte man sich eine Absage nicht leisten.
    “Diesen Monat nicht!”, bellte er laut ins Handy. “Menschenskinder, nicht mal dieses Jahr!” Wenn man schon so tat, als führe man ein Gespräch, dann musste es sich auch so anhören.
    Aus schmalen Augenschlitzen überflog er noch einmal die Straße von rechts nach links. Keine Menschenseele zu sehen, keine Regung in den benachbarten Häusern. Carl klappte das Handy zu und schüttelte den Kopf, als sei er verstimmt über den Ausgang des Anrufs. Fiel ihm nicht schwer, so etwas; er brauchte sich nur vorzustellen, er habe gerade seine bessere Hälfte an der Strippe gehabt. Verdammt noch mal, allmählich wurde er jetzt aber ungeduldig. Das war das einzig Blöde an seinem Beruf: das Warten auf den ersten Kontakt.
    Dabei lief er quasi bereits die ganze Zeit auf Betriebstemperatur, schon seit er um sechs seine Wohnung verlassen hatte. Er war mit dem Zug vom Hauptbahnhof Grand Central zur 33. Straße gefahren und von dort weiter in den benachbarten Bundesstaat, nach Hoboken, New Jersey. Dort hatte er sich den Mietwagen besorgt. Die Angestellte hinter dem Tresen hatte ihn kaum eines Blickes gewürdigt, während sie seinen Auftrag bearbeitete. Er unterhielt sich trotzdem ein wenig mit ihr und fragte sie, aus welcher Gegend in Maine sie denn stamme. Aus Manchester, so erwiderte sie, bass erstaunt darüber, dass er ihren Dialekt so gut einschätzte. Ja, Carl hatte ein Ohr für Akzente und Stimmen. Er brauchte nur ein einziges Mal mit jemandem zu sprechen und erkannte die Person bei der nächsten Begegnung an der Stimme wieder. Wenn Menschen aus einem bestimmten Landesteil kamen, konnte er sie gleich beim nächsten Wiedersehen wieder haargenau benennen.
    Das band er ihr allerdings nicht auf die Nase, weil sie sich sonst womöglich zu leicht an ihn erinnert hätte. Stattdessen flunkerte er ihr vor, dass seine Frau aus der Gegend stammt.
    Im Großen und Ganzen war er von seinen Bemühungen recht angetan, hatte er doch eine gänzlich unauffällige Figur für diesen Job abgegeben: Mann in mittleren Jahren, mittelgroß, mit Anflug zu Höckernase, Brille, sandblondem Haar und Schnurrbart; Kleidung bestehend aus adretter Hose und einem Sportjackett, das zwar bessere Zeiten gesehen hatte, doch keineswegs abgerissen wirkte. Es machte ihm Spaß, in ein Kostüm zu schlüpfen, Verkleidung, Perücke, Kontaktlinsen und Schminke so einzusetzen, dass er sich schon beim Anlegen in die Person verwandelte, die er darstellen sollte. Wenn es dann losging und er in den Spiegel schaute, erkannte er sich zuweilen selber nicht wieder.
    Das Mobiltelefon erneut aufgeklappt, imitierte er noch einmal ein Telefongespräch, wobei er aber im Geiste nur seinen Plan aufs Neue durchspielte. Man konnte gar nicht vorsichtig genug sein. Worauf man immer eingestellt sein musste – und das gelang ihm nie so ganz –, waren unverhoffte Wendungen. In diesem Augenblick bemerkte er, wie sich unten eingangs der Straße etwas tat. Aha, sie waren im Anmarsch. Das Kindermädchen kam gemütlich um die Ecke flaniert, den Buggy vor sich herschiebend. Zweimal verschwand das Gespann im Schatten der üppig belaubten Ahornbäume.
    Carl wartete ab, bis die Kleine fast auf gleicher Höhe mit ihm war. Dann klappte er sein Handy zu, klopfte sich auf die Jackentaschen, tastete nach seiner Brieftasche mit der Polizeimarke darin, stieg aus dem Wagen und überquerte die Straße.
    “Entschuldigen Sie – Miss Winston? Sie arbeiten für Frau Professor Chase, nicht wahr?”
    Die junge Dame war Anfang zwanzig und zierlich; ein niedliches Ding mit großen Strahleaugen, in denen jetzt allerdings ein argwöhnischer Ausdruck erschien. Carl warf einen Blick auf den Buggy. Das kleine Mädchen darin schlief. Perfekt.
    “Ja … ist irgendwas?”
    Er zückte seine Marke und seinen Dienstausweis. “Detective Hudson, Kriminalpolizei. Ich muss Sie bitten, mit mir aufs Revier zu kommen.”
    “Wozu das denn?”
    “Alles Weitere erkläre ich Ihnen im Wagen.”
    “Ist etwas mit meinen Eltern?”
    “Nein, es besteht absolut kein Grund zur Sorge.”
    Das Kindermädchen fing an zu jammern. “Aber ich habe doch gar nichts getan …” Zu allem Überfluss regte sich nun auch das

Weitere Kostenlose Bücher