Der Memory Code
Namen?”
“Wie meinen Sie das?”
“Welchen Namen haben Sie gehört?”
“Rachel! Welchen Namen hätte ich sonst hören sollen?”
“Den aus der Vergangenheit.”
“Sie glauben mir also?”
“Ich glaube, dass Sie das sehen, was Sie da schildern.”
“Heißt das, Sie helfen mir?”
Er hob abwehrend die Hände. “Wie gesagt, die Stiftung arbeitet nicht mit …”
“Ich bitte nicht die Stiftung, ich bitte Sie.”
Beide drehten sich um, als zwei Buben zwischen acht und zehn ungestüm in die Galerie gestürzt kamen und sich schreiend gegenseitig die Schwerter, Schilde und Helme zeigten.
“Ich bin der da!”, brüllte der eine.
“Und ich der da vorn!”
“Wir sind Ritter!”
“Und wofür kämpfen wir?”
“Wir bringen die Bösen um.”
Die Kinder, die Malachai und Beryl ihre Vorlebensperioden schilderten, hatten nie erklärt, woher sie wussten, dass jemand, dem sie in der Gegenwart begegneten, ein Bekannter aus ihrer Vergangenheit war. Sie zogen ihre Erlebnisse auch nie in Zweifel. Kinder musste man nicht überzeugen. Sie mussten sich nichts über Grundlagen der Reinkarnation anlesen, nur um glauben zu können, dass ihre Gefühle echt waren. Sie stürzten sich nicht wie besessen in das Studium jener Philosophie, auf der ihre Albträume beruhten – sie erlebten sie nur.
Rachel wandte sich wieder Josh zu.
Etwas ging von ihr aus. Er spürte es. Kaum merklich und doch fühlbar. Und anders als das, was er erwartet hatte. Seit dem Bombenanschlag hatte er die Bekanntschaft von vielen Frauen gemacht, hatte ihnen in die Augen gesehen – so wie jetzt auch Rachel –, und dann gewartet, um etwas Vertrautes zu empfinden, und sei es auch noch so vage. Doch Rachel war die Einzige, bei der eine Verbindung entstand. Eine Verbindung, die anhielt. Sabina war sie zwar nicht, aber auf jeden Fall jemand, den er gekannt hatte.
Jetzt wurde ihm bewusst, dass er gern mit dieser Frau zusammenarbeiten und ergründen würde, wo sich ihrer beider Lebenswege gekreuzt hatten, was dies für ihn bedeutete und ob es ihm wohl helfen würde. Es war der reine Egoismus, das war ihm ebenfalls klar.
“Es geht wieder los”, sagte sie mit leiser, weicher Stimme.
“Was?”
“Mein Körper vibriert, und ich höre diese Musik, wie aus der Ferne. Die hat aber nichts mit Tönen oder Akkorden oder Melodien oder Harmonien zu tun. Es ist purer Rhythmus.”
“Wo befinden Sie sich?”
“Bei Ihnen. Im Museum, natürlich.”
Josh wusste nicht, ob sie in der Gegenwart oder in der Vergangenheit war. Ehe er danach fragen konnte, sagte sie: “Wollen wir? Es ist doch sicher Zeit für den Tee, nicht wahr?”
“Tee?” Jetzt war ihm klar, was da ablief. “Aber gewiss doch. Wohin denn?”
“Nach Hause natürlich”, antwortete sie verblüfft, als hätte er das eigentlich wissen müssen. “Wohin sollten wir sonst gehen?” Sie schien ihn sehr gut zu kennen. Aber wen sah sie da in ihm?
“In ein Café? Ein Hotel?”
“In Delmonico’s Restaurant.”
“Ich weiß nicht, wo das ist.”
“Natürlich weißt du das! Willst du mich zum Narren halten? Es ist das älteste und vornehmste Speiselokal in New York!”
“Ich habe noch nie davon gehört. Ist es weit von hier?”
Sie blinzelte und schüttelte verwirrt den Kopf, als müsse sie ihre Gedanken ordnen. “Wovon haben Sie noch nie gehört?”
“Delmonico’s.”
“Was ist das?”
Damit wurde ihm endgültig klar, dass die Teeliebhaberin nie und nimmer Rachel Palmer gewesen war.
50. KAPITEL
N ew Haven, Connecticut – 15:06 Uhr
Lässig hinter das Steuer gefläzt und das Handy am Ohr, als sei er eifrig am Telefonieren, saß Carl auf der gegenüberliegenden Straßenseite in seinem Mietwagen und behielt das Haus ständig im Blick. Das Telefon war zwar gar nicht eingeschaltet, doch auf Passanten, die ihn zufällig dort parken sahen, wirkte er völlig harmlos.
Zwischendurch guckte er auf seine billige Warenhausarmbanduhr, deren Lederband schon sein Handgelenk wund gescheuert hatte. Eigentlich musste das Kindermädchen jetzt jeden Moment nach Hause kommen. Er war ihr bis zum Park nachgefahren und hatte beobachtet, wie sie mit ihren Kolleginnen plauderte, während die Kleinen miteinander spielten, und als sie dann den Rückweg antrat, war er eilig vor ihr losgefahren, um anschließend hier im Auto auf sie zu warten. Im Prinzip verließ er sich, ehe er einen Job erledigte, gern auf eingehende Überwachung, doch dieser Luxus war ihm diesmal nicht vergönnt. Der Anruf war um drei
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