Der Memory Code
schlummernde Kind im Buggy. Das gefiel Carl überhaupt nicht. Er wollte nicht, dass es wach wurde.
“Selbstverständlich nicht, Miss Winston. Wenn ich nun bitten dürfte?” Er fasste sie beim Ellbogen und schob sie mit sanfter Gewalt zur Bordsteinkante. “Aber jetzt müssen wir erst mal über die Fahrbahn. Mein Dienstwagen steht da drüben.” Er zeigte in die Richtung.
“Gleich, sofort? Darf ich nicht vorher ins Haus und …?”
Indem er sich gerade so weit vorbeugte, dass es eindringlich, aber nicht aufdringlich wirkte, raunte er mit todernster Stimme: “Mrs. Chase hat einen Drohbrief erhalten, in dem es um ihre Tochter geht. Nach dem Einbruch neulich wollen wir deshalb kein Risiko eingehen. Wir möchten Sie und die kleine Quinn vorsichtshalber aus der Gefahrenzone befördern.”
“Das ist ja furchtbar!” Bettina krampfte die Finger um den Schiebebügel des Buggys und zog ihn näher zu sich heran. “Warum sollte denn jemand Quinn entführen? Was hat denn das mit …”
“Klärt sich alles auf, aber nun müssen wir los.”
Während er sie über die Straße hinweg zum Auto begleitete, merkte Carl, dass Bettina leicht zitterte. Prima. Dass sie nervös war, machte die Sache leichter. Er hielt ihr den Schlag auf, und sie spähte ins Wageninnere.
“So geht das nicht. Der hat ja keinen Kindersitz!”
Mist, verdammter! Daran hatte er nicht gedacht. Das war eben das Problem, wenn man einen Auftrag annahm, bei dem Kinder mit von der Partie waren; normalerweise mied er die wie die Pest. Da musste man zu viele Dinge bedenken, die ihm rein gefühlsmäßig nicht lagen.
“Könnten Sie mal den Buggy halten?”, fragte sie, und ehe er sich versah, rannte sie schon wieder quer über die Fahrbahn und hin zu einem in der Hofeinfahrt geparkten Kleinwagen. Während sie die hintere Seitentür öffnete, ließ Carl den Blick die Straße hinauf- und hinunterschweifen. Kein Fahrzeug weit und breit, der Bürgersteig nach wie vor menschenleer. Trotzdem dauerte es ihm viel zu lange, bis das Mädel endlich den Sitz von der Rückbank gelöst hatte. Außerdem wurde die Kleine im Buggy nun tatsächlich wach. Und dann, verfluchtes Pech, bog auch noch eine silberfarbene Limousine in die Straße ein. Von Weitem sah die verdächtig nach dem Schlitten der Frau Professor aus.
Inzwischen hatte Bettina jedoch den Kindersitz gelöst und kam wieder auf Carl zu. Der hastete ihr entgegen, riss ihr den Sitz förmlich aus den Händen und packte ihn auf den Rücksitz. Aus dem Augenwinkel beobachtete er dabei das näher kommende Auto. Während er noch am Sitzgurt herumhantierte, bog die Limousine in eine Einfahrt etwa auf halber Höhe der Straße. Erleichtert atmete Carl auf.
Nachdem sie die kleine Quinn angeschnallt hatte, wollte Bettina schon auf der anderen Seite einsteigen, aber Carl kam ihr zuvor. “Setzen Sie sich bitte nach vorn. Dann kann ich Ihnen alles besser erklären und muss mich nicht dauernd nach hinten umdrehen.”
Endlich hatte er alle an Bord und ließ den Motor an. Gerade löste er sich von der Bordsteinkante, da sah er, wie ein zweites Auto, ein teurer Allradkombi, an der gegenüberliegenden Einmündung in die Straße einbog. Wegen des Schattenspiels der hohen Bäume ließ sich nicht erkennen, ob der Wagen schwarz oder dunkelblau war. Mrs. Chase fuhr einen dunkelblauen Jeep. Wohin nun? Einfach an dem entgegenkommenden Wagen vorbei, oder lieber wenden und riskieren, dass der Fahrer oder die Fahrerin sein Kennzeichen sah? Carl entschied sich fürs Wenden. Ein Blick in den Rückspiegel verriet ihm, dass man die Farbe oder das Fabrikat des Fahrzeugs hinter ihm aus dieser Entfernung noch immer nicht richtig erkennen konnte. Falls es die Chase war, kam sie aber eine ganze Weile zu früh. War sie schon nahe genug, um die Nummernschilder zu sehen? Vermutlich nicht. Außerdem achtete sie wahrscheinlich gar nicht darauf. Ein Auto, das die Straße hinunterfuhr, stellte ja an sich nichts Verdächtiges dar. Also – selbst wenn es Mrs. Chase sein sollte und sie feststellte, dass das Kindermädchen noch unterwegs war, wäre ihr wohl auch das nicht sonderbar vorgekommen. Jedenfalls nicht gleich. Höchstens Stunden später.
“Haben Sie ein Handy dabei?”, fragte er Bettina.
“Ja.”
An der Einmündung bog er rechts ab. Niemand folgte ihnen. “Kann ich das haben?”
“Warum?”
“Routine.”
Sie holte es aus ihrer Handtasche und reichte es ihm. Er klappte es auf, schaltete es aus und ließ es in die Jackentasche
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