Der Memory Code
wenn ich Ihnen das verrate.”
“Keine Bange, ich nehme es nicht persönlich.”
Sie lächelte. “Mein Onkel Alex.”
“Lässt er Sie etwa beschatten?”
“Das vermute ich.”
“Warum?”
“Er glaubt, ich schwebe in Gefahr.”
“Na, das denken Sie selber doch auch, nicht wahr?”
“Schon, ja. Aber er hat ganz besondere Gründe. Er hat Nachforschungen angestellt und dabei ein, zwei Skandale aufgedeckt, und die betreffen einige Kunstwerke und Schmuckgegenstände, die Harrison über die Jahre gekauft und verkauft hat. Das bereitet ihm Kopfzerbrechen, obwohl es in dem Metier eigentlich nichts Ungewöhnliches ist. Jedenfalls lässt es mich vermuten, dass er mir bezüglich Harrison einiges verschweigt.”
Vor der riesigen, imposanten Marmorskulptur, dem “Kampf der zwei Naturen des Menschen”, blieb sie stehen. “Seit dem Tode meiner Tante hat er sich sehr verändert”, fuhr sie fort. “Klar, so etwas bleibt nicht aus, aber bei ihm ist nicht allein Trauer die Ursache.”
“Was denn dann?”
“Alex ist geradezu besessen von Reinkarnation. Immer schon gewesen. Wussten Sie, dass er vor Längerem mal versucht hat, die Phoenix Foundation zu kaufen? Na, jedenfalls ist es seit dem Tode meiner Tante noch viel schlimmer geworden. Und dann habe ich auch noch den Fehler gemacht und ihm diese Sache mit Harrison geschildert. Jetzt glaubt mein Onkel, ich hätte Reinkarnationsanwandlungen, und Harrison könnte eventuell eine Gefahr darstellen. Ich hab ihm das zwar nicht gesagt, aber ich glaube, so ganz unrecht hat er nicht.”
“Wie? Sie hatten wieder eine Episode?”
Seufzend berichtete sie ihm von dem Abend bei Harrison und von dem Erinnerungssprung beim Anblick des Revolvers. “Genaues kann ich Ihnen allerdings nicht sagen. Ich weiß nicht, wer die Männer waren oder wo wir uns befanden. Im Grunde waren es nicht mehr als Bilderfetzen und ein paar Sätze.”
Inzwischen hatten sie den Gebäudeflügel verlassen und spazierten durch einen Ausstellungssaal mit religiöser Kunst. Ein großes Elfenbeinkreuz stach Josh ins Auge, außerdem der Mérode-Altar von Robert Campin, ein Triptychon mit der Verkündigung des Erzengels Gabriel an Maria und eine Glasvitrine mit religiösen Exponaten. Josh war schon so oft hier gewesen, dass ihm diese Gegenstände allesamt vertraut waren.
“Das Problem dabei ist: Ich kann mir noch so fest vornehmen, mich von ihm fernzuhalten – trotzdem fühle ich mich zu ihm hingezogen. Als könnte ich das überhaupt nicht steuern. Und ich mag es nicht, mich nicht unter Kontrolle zu haben.”
“Das kann ich mir gut vorstellen”, unterstrich er, während sie nun in die Abteilung “Waffen und Rüstung” einbogen, einen Saal voller Harnische und Waffen aus der Zeit von 400 vor Christus bis zum 19. Jahrhundert. Ritter in silbern schimmernder Wehr, die Lanzen gezückt, die Banner im Winde flatternd, saßen auf bewegungslosen, ebenfalls Kettenpanzer tragenden Rössern.
“Als kleiner Junge war ich oft mit meinem Vater hier”, erklärte Josh. “Jetzt aber schon Jahre nicht mehr.” Er erinnerte sich noch lebhaft an die Ausflüge. Schon damals hatte ihn diese Ausstellung fasziniert, und so war es auch jetzt. Denn während sich alles ringsum verändert hatte, waren die Ritter dieselben geblieben, hoch zu Ross und lebensecht, als harrten sie auf den Ruf zu den Waffen, der sie indes nie erreichte.
Auch dies war ein Zurück in die Vergangenheit, wenn auch auf andere, harmlosere Weise. Fast schon glaubte er, die Stimme seines Vaters zu hören, sodass es ihn regelrecht aus seinen Gedanken riss, als Rachel ihren Faden wieder aufnahm.
“Folgender Vorschlag, Josh. Wie viel würde es mich kosten, wenn Sie mich hypnotisieren und ein paar Vorlebensepisoden mit mir durchspielen? Damit ich diesem Schlamassel einmal auf den Grund gehe?”
“Es geht doch nicht ums Geld! Die Stiftung befasst sich eben nur mit …”
“Kindern? Was denn – sind deren Qualen etwa wichtiger?”
“Das nicht, aber …”
Sie ließ ihn wieder nicht ausreden. “Heute Morgen hat er mich zur Arbeit gefahren. Als ich aus dem Auto stieg, guckte ich an mir herunter. Meine Schuhe waren so altmodische Stiefeletten mit Knopfreihen vorn auf dem Spann. Solche Dinger habe ich nie im Leben besessen oder getragen. Das Auto hatte sich in eine Pferdekutsche verwandelt, und Harrison trug einen Morgenmantel.”
“Und was passierte dann?”
“Ich hörte, wie jemand meinen Namen rief, und dann war es vorbei.”
“Welchen
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