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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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Genuss. Die Männer glaubten zwar immer, sie hielten die Fäden in der Hand, doch das Gegenteil war der Fall.
    “Du machst mich zum Heiden”, raunte er ihr ins Ohr, die Stimme erstickt vor Begehren. “Zum Götzendiener!”, rief er und zeigte auf die Fenster. “Da draußen stehen die Ruinen antiker römischer Tempel, wo einst die echten Heiden ihren Göttern huldigten! Und
meine
Göttin …” – er senkte die Stimme wieder zu einem Flüstern – “… bist du!”
    Als der Archäologe an der Villa ankam, war er verständlicherweise bester Laune. Klein, mit sonnengebräunter, wettergegerbter Haut und zerzaustem braunem Haar, trug er einen schlecht sitzenden, zerknitterten Anzug sowie ungeputzte Schuhe. Auf Äußerlichkeiten legte er keinen Wert, hielten sie ihn doch bloß von seiner über alles geliebten Berufung ab. Wallace Neely, so wusste Esme von vorherigen Begegnungen, kannte nur ein Gesprächsthema: Entweder die Antike, in erster Linie das alte Ägypten und das Imperium Romanum, oder sein neustes Ausgrabungsprojekt. An jenem Abend kam es nicht so drauf an, denn über andere Dinge wollte sich ohnehin niemand unterhalten. Blackie war die Liebenswürdigkeit in Person. Er begrüßte den Gast mit einer tiefen Verbeugung, verwöhnte ihn mit erlesenem Wein und ausgesuchten Gaumenfreuden, alles vom Hauspersonal vorbereitet und aufgetragen. Er bewirtete Neely so, wie er es sonst mit Esme beim Liebesspiel machte: indem er nämlich den Höhepunkt hinauszögerte, bis er es nicht mehr aushielt.
    Sobald Neely dann lockerer wurde und Blackie seine Geduld kaum noch zu zügeln wusste, bat er Esme, ihn und den Gast einen Augenblick zu entschuldigen. Ehe sie einen Einwand vorbringen konnte, verschwanden die beiden Herren in der Bibliothek.
    Als sie sah, wie er die Flügeltüren hinter sich schloss, stampfte sie erbost mit dem Fuß auf. Bildete er sich etwa ein, er könne ihr seinen angeblichen Schatz vorenthalten? Nachdem sie sich monatelang sein Genörgel hatte anhören müssen?
    Tante Iris hätte sie zwar dafür zurechtgewiesen, dass sie jetzt mit bloßen Armen nach draußen ging, aber sie bekam es ja nicht mit. Iris war ja oben und hatte sich womöglich bereits schlafen gelegt.
    Von der Terrasse aus spähte Esme durch einen Spalt in den Vorhängen vor den Fenstern der Bibliothek. Blackie zündete gerade einen zweiten Kerzenhalter an und trug ihn hinüber an den Schreibtisch. Wie in Helldunkelmalerei beleuchteten die Flammen den Archäologen, als er sich vorbeugte, einen alten Lederbeutel öffnete und diesen langsam, Ecke für Ecke, auseinanderfaltete. Genau in dem Augenblick trat Blackie, um genauer sehen zu können, einen Schritt vor und versperrte Esme die Sicht auf den Inhalt der Börse.
    “Wie? Und darauf haben wir so lange gewartet?”, spottete er höhnisch. “Auf so einen Schund?”
    Er griff in den Beutel, dann nach seinem Weinpokal und kippte den Rotwein über das, was er in der Linken hielt – mitten in der Bibliothek! Dass er damit die feine Lederauflage ruinierte, scherte ihn offensichtlich einen Dreck.
    “Nein! Nicht! Das dürfen Sie nicht! Das entspricht nicht den Vorschriften!” Neely wollte seinen Gastgeber beim Arm packen, aber der stieß ihn weg, und zwar mit einer für Esme unbekannten Brutalität. Jetzt sah sie auch, was er da betrachtete: eine Handvoll Edelsteine, tropfnass vom Wein und im Kerzenschein funkelnd wie Buntglasscherben.
    Neely, der sich inzwischen gefangen und auch seine Fassung einigermaßen zurückgewonnen hatte, trat auf Blackie zu. “Ich muss darauf bestehen, Mr. Blackwell!” Er streckte die Hand aus. “Sie gefährden unseren Fund. Bitte geben Sie das wieder her.”
    Ohne auf den kleinen Mann zu achten, betrachtete Blackie die Smaragde, die Saphire und den einzelnen Rubin, jeder Stein für sich fast so groß wie eine Walnuss. Sie mussten ein Vermögen wert sein.
    “Mr. Blackwell, meine Steine! Ich muss sie wiederhaben! Ich bestehe darauf!”
    Blackie straffte sich. Lächelnd, als könne ihn kein Wässerchen trüben, gab er dem Archäologen die Juwelen zurück.
    Hastig eilte Esme zurück in den Salon, denn es konnte ja sein, dass die beiden Männer zurückkamen und dort nach ihr suchten, wo sie eigentlich hätte sein müssen. Sie schaffte es auch, doch nur mit knapper Not, denn kaum war sie drinnen, traten die beiden Herren auch schon herein – Blackie äußerlich seelenruhig, Neely mit verkniffenem Mund.
    “Ehe Sie uns verlassen, Wallace – erlauben Sie mir, noch einmal

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